Länder wie Australien und Neuseeland, wo 50 % der Betriebe nicht genügend Saisonarbeitskräfte finden, leiden vor allem unter dem Covid-bedingten Tourismus-Einbruch. Zusätzlich hat die Pandemie auch die Einreise von Work-and-Travel Saisonarbeitskräften verhindert. Die globale Erholung könnte diese Situation zwar verbessern, aber die stark angestiegenen Flugpreise erschweren die Rückkehr von Work-and-Travel Saisonarbeitskräften. Der Mangel an Saisonarbeitskräften ist auch hoch bei den Weinproduzenten in Portugal (94 %) und Spanien (77 %) sowie in Kalifornien/USA (73 %) sehr hoch. Jedes zweite weinproduzierende Unternehmen gibt an, nicht ausreichend Arbeitskräfte für die Weinproduktion und -Abfüllung finden zu können. Diese Fachkräfte erfordern meist einen qualifizierten Berufsabschluss. Weil Handwerker und qualifizierte Industriearbeiter in den meisten Branchen Mangelware sind, konkurriert die Weinbranche hier mit der oft deutlich zahlungskräftigeren Industrie. So berichten viele Betriebe von der aussichtslosen Suche nach Fahrern für LKW und Gabelstapler. Drei von vier Genossenschaften sind vom Personalmangel in der Weinproduktion betroffen. Bei den Weingütern ist der Mangel mit 43 % nicht ganz so hoch ausgeprägt, weil hier oft Familienmitglieder – vor allem in kleineren Betrieben – die Arbeit übernehmen können. Der Mangel ist besonders hoch in Frankreich, wo 77 % der Weinproduzenten Fachkräfte im Keller suchen, gefolgt von Kalifornien/USA (67 %), sowie Deutschland, Österreich und Portugal (50 %).
Arbeitskräfte im Verkauf und Vertrieb, in der gastronomischen Betreuung und für administrative Verwaltungstätigkeiten werden von jedem fünften Produzenten gesucht. Am geringsten ist der Mangel an qualifizierten und hoch qualifizierten Arbeitskräften im mittleren und höheren Management (nur 4 %). Ein Grund dafür ist auch die Kleinstrukturiertheit der Weinbranche, in der Führungsaufgaben in vielen Betrieben von den Familienmitgliedern übernommen werden. Nur große Unternehmen haben einen Bedarf an angestellten Führungskräften, der durch den weiteren Strukturwandel in Zukunft aber weiter zunehmen wird.
2. Der Arbeitskräftemangel und seine Auswirkungen
Die Unternehmen haben den Mangel an Arbeitskräften vorwiegend durch Mehrarbeit bzw. Überstunden (Abbildung 3) kompensiert. Vor allem die Inhaberfamilien und Betriebsleiter berichten von einer deutlich gestiegenen Arbeitsbelastung: „Ich habe keinen freien Tag mehr.“ „Die Familie fängt das durch Mehrarbeit auf, auch am Sonntag“. „Wir arbeiten als Familie rund um die Uhr.“ „Wir müssen deutlich mehr arbeiten, Familienzeit und Pausen gibt es dadurch keine mehr.“ Die vielen Kommentare zeigen, dass die familiengeführten Unternehmen bereits jetzt an ihrer Belastungsgrenze angekommen sind und eine weitere Verschlechterung der Lage nicht kompensieren können. Die zusätzlichen wirtschaftlichen Sorgen führen hier nicht selten zu extrem hoher psychischer Belastung bis zum Burnout. Fällt einmal ein Familienmitglied aus, verstärken sich die wirtschaftlichen Sorgen zusätzlich dadurch, dass die Festanstellung eines externen Ersatzes deutlich höhere Kosten verursacht. Die sozial und wirtschaftlich wenig nachhaltigen Arbeitsanforderungen der weinbaulichen Betriebe verringern auch die Chancen der Übernahme des Betriebes in der nächsten Generation, die sich oft fragt, ob sich diese viele Arbeit überhaupt lohnt.
Fehlende Arbeitskräfte wirkten sich auch direkt auf die Betriebsleistung der Unternehmen aus. Jeder Dritte konnte nicht die angestrebte Qualität oder Service bieten. Die Ernte verzögerte sich, damit kam es zu Qualitätseinbußen im Lesegut. Den Kunden in Gastronomie und Hotellerie konnte nicht der gewünschte Service geboten werden. Um bestehende Prozesse zu gewährleisten, musste teilweise die angebotene Kapazität verringert werden. Weingutsschänken, Restaurants und Hotels reduzierten teilweise bewusst ihr Angebot, um einen ausreichenden Service der verbleibenden Tische und Zimmer zu gewährleisten. Fast jedes vierte Unternehmen musste durch den Personalmangel Verluste des Umsatzes in Kauf nehmen, weil nicht mehr alle Produkte oder Dienstleistungen angeboten werden konnten. Fast jedes fünfte Unternehmen hat die Öffnungszeiten reduziert (18 %) oder konnte nur mit Verzug liefern (16 %).