Kommentare von Ricardo Grellet A.
Es beginnt keine gute Geschichte mit einem Salat – das sagen zumindest die Nicht-Veganer. Wein dagegen ist immer mit Freude, Festen oder dem liebevollen Anstoßen auf Menschen, die nicht mehr unter uns sind, verbunden.
Der chilenische Wein kam, wie es in ganz Amerika der Fall war, durch die spanischen Eroberer auf den Kontinent und breitete sich aufgrund der Beharrlichkeit, mit der die Bekehrungen zum Katholizismus erfolgten, in dem Gebiet aus. Da er außerdem als Nahrungsmittel für die Soldaten galt, wurde der Wein in den Anfängen der Geschichte des Kontinents zu einem lebenswichtigen Element für alle Personen, die als gebildet betrachtet wurden.
Zwischen 1970 und 1980 wurde der Wein in Chile während der wechselhaften politischen und kulturellen Geschichte des Landes als Massengetränk von geringer Qualität, ordinär und gleichbedeutend mit dem Alkoholismus betrachtet. Dank der visionären Investitionen von Unternehmern wie Miguel Torres konnte sich der Wein einen anderen Ruf erarbeiten und zu einem Synonym für Kultiviertheit und Eleganz verwandeln.
Es kann nicht oft genug daran erinnert werden, dass das Aufkommen des Carménère-Weins 1994 enorm dazu beitrug, dass Chile sich als Herstellerland für Qualitätsweine etablieren konnte und heute auf der Liste der Exportländer weltweit an vierter Stelle steht.
Heute verfügt Chile über eine beeindruckende Vielfalt an Weinstilen und kombiniert die klassische Produktion, die neue Fässer einsetzt und einen hohen Alkoholgehalt bietet, mit einfachen Weinen mit einem von Natur aus hohen Säure- und niedrigem Tanningehalt. So erweitert es seinen Horizont und setzt sich vom Rolland-Stil ab, der bei den ersten Herstellern der 90er und 2000er Jahre prägend war.
Durch die Rettung heimischer Weinberge, die Entdeckung verlorener Weinstöcke, die weltweite Stabilisierung klassischer Produkte wie Santa Rita, San Pedro und Concha y Toro in der Premiumklasse, die kräftige Förderung kleinen Produzenten über die Organisation in Verbänden als Aushängeschild (MOVI, Colchagua Singular und VIGNO, unter anderem) stellt das heutige Chile zu einem Wirbel an Emotionen dar, durch die der Wein sehr viel sicherer und unterhaltsamer wird als der Volvo, ein Vergleich, den Tim Atkin einmal angestellt hat.
Heute ist der Wein in Chile vielfältig, multikulturell, biologisch-organisch und neben nachhaltig auch noch biodynamisch, sehr viel toleranter als noch vor zehn Jahren und permissiv, was Verrücktheiten wie diejenigen von Bodegas RE und ihre Mischungen des Syrañan, Pinotel oder alle Erfindungen betrifft, die von der ‚dunklen Seite‘ der lokalen Önologie gekreuzt werden.
Noch stellt der Inlandsverbrauch die große Herausforderung dar, weil er in mehr als 400 Unternehmen zerfällt, die Wein herstellen, und wegen des großen Schwerpunktes, den die mittelgroßen und großen Bodegas auf den Exportmarkt legen, wo sich alle mit Begeisterung „asiatischen Shots“1 zuwenden, anstatt mit aller Kraft in den lokalen Konsum zu investieren, um die Jugendlichen anzuwerben und diejenigen zu binden, deren Konsum bereits auf Höhe des Eingangsniveaus liegt, oder, was sehr viel schwerer ist, zu erreichen, dass die Experten unter den Konsumenten langfristig in die großen Vorbilder des Maipo, Cachapoal oder Aconcagua investieren.
Der chilenische Raum mit Qualitätsbeispielen wie dem Seña, Almaviva, Clos Apalta oder Don Melchor kann keinesfalls außer Acht gelassen werden, wo sich schon seit Jahren bestätigt, dass das Konzept des Terroirs auf chilenischen Böden äußerst erfolgreich ist, der lokale Konsument aber nicht seine Brieftasche öffnet, um diese Weine zu erwerben, wobei er sie jedoch immer begierig in Empfang nimmt, wenn es sich um ein Geschäftsgeschenk handelt.
Was den lokalen Konsumenten angeht, ist es schwierig, ihm den Unterschied zu Flaschen für mehr als 10 USD zu verdeutlichen, auch wenn er mit Angeboten für Nachlässe von mehr als 30 % bombardiert wird, wenn vor allem die konservativste Gesellschaftsklasse Chiles dazu neigt, Wein und alkoholische Getränke als tödlichen Feind der Familie und verantwortlich für Ausfälle bei der Arbeit und in der Schule zu betrachten.
Die Regierung (alle Regierungen) unternimmt nur geringe Anstrengungen, einen Teil des durch Steuern auf Wein und alkoholische Getränke eingenommenen Budgets für die Aufklärung über verantwortungsbewussten Konsum vorzusehen. Ein weiteres unglaubliches Faktum: Es ist in Chile per Gesetz untersagt, in Schulen oder Bildungseinrichtungen verantwortungsbewussten Konsum zu lehren.
Wie kann der Inlandsverbrauch von Qualitätsweinen auf verantwortungsbewusste Weise wachsen? Darauf gibt es nur eine Antwort: durch Aufklärung. Und die Aufklärung von Jugendlichen und Erwachsenen, Eltern und Kindern, ganzen Familien, darüber, dass eine Änderung ihres gewohnten täglichen Konsums weg von kohlensäurehaltigen Erfrischungsgetränken und hin zu einem Glas Wein (100 cc zum Essen) erfolgen sollte, muss das allgemeine Ziel sein.
Es fällt schwer zu glauben, dass es einer Branche, die mehr als eine halbe Million Mitarbeiter und 2.000.000.000 USD an Verkäufen durch Exporte mit annähernd 900.000.000 Litern generiert, kaum gelingt, 15 Liter pro Kopf beim Inlandsverbrauch zu übertreffen. Vielleicht liegt es daran, dass die Führungskräfte der großen Vertriebshändler keine Fachkräfte aus der Weinbranche sind, sondern dass die Vertriebshändler sich mehr auf den Einzelhandel und Nachlässe als auf den soliden Aufbau einer Marke konzentrieren. Es handelt sich eher um junge und professionell agierende Führungskräfte, die ihren Lebenslauf verbessern möchten, als um Menschen, für die die Suche nach einem Wein eine Lebensform darstellt.
Niemand sagt, dass es das Ziel sein muss, aus dem wunderbaren Exportmarkt von 20-30 USD pro neun Liter Karton auszusteigen, sondern dass wir in einem anderen Segment suchen müssen, um gutes Wachstum zu erzielen und ‚zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen‘.
Wenn wir berücksichtigen, dass 60 % der Exporte auf vier nationale Unternehmen entfallen, reicht das schon aus, um uns darüber klar zu werden, dass Chile unbedingt in anderen Preissegmenten Produkte mit Mehrwert positionieren muss, wie ihn die Produkte von den äußersten Grenzen in Süden und Norden besitzen, wo Anbaugebiete wie in Chile Chico (46°32 südlich versus die Position 42°35 südlich der Anbaugebiete in Parque Bustamante, Chubut, Argentinien) oder diejenigen der Familie De Martino an den Bergflanken des Vulkans Villarrica zeigen, dass diese neuen Möglichkeiten mit Vulkanerde, ähnlichen Temperaturen wie in Burgund und Sonnentagen im Gegensatz zur Bewölkung an der Küste ein beneidenswertes Potenzial für Weinstöcke wie dem Chardonnay, Riesling oder Pinot Noir aufweisen, Weinstöcke, deren Export noch nicht Chiles Stärke ist.
Chile liefert heute beim Angebot an Weinen für 20 USD hohe Qualität. Wer das Gegenteil behauptet, versteht nichts von Wein, oder schlimmer noch, interessiert sich nur für Fasswein und versteht nicht, dass das, was im On-Trade weltweit zählt, die Qualität ist und keine kommerziellen önologischen Zusatzstoffe, etwas, das täglich deutlicher und von den Konsumenten gewürdigt wird.
Eine weitere Aufgabe für die großen Unternehmen besteht darin, erfahrene Führungskräfte anstelle von Millennials mit mehr Stempeln aus südostasiatischen Ländern in ihren Pässen als Arbeitserfahrung unter Vertrag zu nehmen.
Der Wein ist unbestrittener Botschafter Chiles im Ausland, aber es konnte noch nicht erreicht werden, dass sich diese Wirklichkeit auch bei den Vorlieben des lokalen Konsumenten manifestiert, wenn es um die Auswahl eines Getränks zum Essen geht. Der Konsum von etwa 90.000.000 9cl2 Bier pro Jahr zeigt, dass das heutige Chile eher ein Bier- als ein Weinland ist. Vom Pro-Kopf-Konsum von Erfrischungsgetränken zu den Mahlzeiten ganz zu schweigen.
Ebenso sieht sich die Gastronomie häufig von den großen Investitionen von Vertriebshändlern dominiert, die noch die Weinkarten der Restaurants und die wenigen oder praktisch nicht existenten Weinbars in Chile blockieren. Glücklicherweise ändert sich diese Situation derzeit durch das Erscheinen von Sommeliers im Service und im Verzeichnis der Gastronomiebetriebe: Dies braucht jedoch Zeit und ist keine Veränderung, die sich innerhalb von wenigen Monaten etablieren lässt.
Zusammenfassung: Chile ist ein Großproduzent von Weinmengen, die für den Export gedacht sind, mit kleinen Produzenten, die es dank ihrer Hartnäckigkeit und Zusammenschlüssen schaffen, zu beweisen, dass es sehr wohl möglich ist, sich voll dem Wein zu widmen, aber dass die Verbraucher auf den Wein als nationales Wahrzeichen stolz sein müssen, damit diese Bemühungen letztendlich Erfolg haben können.
Kurioses: In Chile gibt es erst seit dem Jahr 2016 den ‚Día Nacional del Vino‘, den nationalen Tag des Weines. Das ist, gelinde gesagt, kurios, wenn wir dieses Getränk als Botschafter Chiles auf der ganzen Welt betrachten.