Von Stuart Pigott und Paula Redes Sidore
Der Charme des Weins liegt zum Teil im Bild des Winzers, der in den Weinbergen arbeitet, die von Großvater & Urgroßvater gepflanzten Reben hegt und pflegt, und den von harter Arbeit und mit viel Liebe geprägten Fußstapfen der Familie folgt. Es ist ein romantisches Bild. Doch ebenso wie im Fall von Disneys Cinderella und dem von den Gebrüdern Grimm erzählten Märchen des Aschenputtels, hat diese Romantik einen Preis, der in den gläsernen Schuhen beziehungsweise silbernen Pantoffeln zwickt: Es ist alles andere als einfach, ein gutes Team an Arbeitern zu finden, zu halten und ein abwechslungsreiches Terrain zu bearbeiten. Technologische Entwicklungen weisen nun auf eine vielversprechende aber höchst technische und heiß umstrittene Lösung für diese Probleme hin: Künstliche Intelligenz. Fortschritte in verschiedenen Bereichen der Robotik, wie Bildgebung, Ausrichtung und Lernen, führen nicht nur zu mehr Nachhaltigkeit im Weinberg, sondern eröffnen auch die Möglichkeit des Bio- und sogar biodynamischen Weinbaus auf deutlich größerem Maßstab als bisher für möglich gehalten wurde. Die Zukunft des Weinbaus könnte also eher den Mars-Chroniken ähneln als dem Film „Unter der Sonne der Toskana“.
Dabei führen die Roboter den Weinbau jedoch in eine unerwartete grüne Richtung. Auf der ProWein, der weltweit größten Fachmesse für Wein und Spirituosen, wurden im Laufe ihrer dreißigjährigen Geschichte häufig Entwicklungen mit Vorreiterrolle für die Branche präsentiert. Und unter den rund 5.700 Ausstellern aus mehr als 60 Ländern gibt es äußerst spannende Beispiele zu entdecken.
VitiBot: Made in France
Wir hatten die Ehre, 2019 einen der ersten Bakus Weinberg-Roboter des Start-Ups VitiBot aus Reims zu erleben. An einem unglaublich heißen Tag standen wir in den Feldern des Champagnerguts Aspasie (Halle 9, Champagne Lounge), wo uns der Inhaber Paul-Vincent Ariston seinen neu gelieferten Bakus präsentierte. Die Hitze machte dem autonomen Straddle Robot mit vier Rädern nichts aus. Mit Leichtigkeit bewegte er sich zwischen den Rebzeilen auf und ab. Bakus wurde vom Ingenieur Cédric Bache entworfen, dem Sohn eines Weinbauern. Die voll elektrisch angetriebene universelle Plattform kann selbst in engen Räumen zwischen den Rebzeilen navigieren und verschiedene Aufgaben im Weinberg erledigen, vom Unkraut jäten über den Rebschnitt hin zum Entfernen von Blättern. Dabei kann er bei einer Neigung von bis zu 45 Grad arbeiten.
Ted: High-Tech-Nachhaltigkeit
Die Firma Naïo Technologies sorgte 2017 mit dem Debüt eines leichten (2,1 Tonnen), vollständig autonomen, 100 % elektrischen Straddle Robots namens Ted im Médoc international für Aufregung. Durch das modulare Design des Rahmengestells ist es möglich, den Roboter auf unterschiedliche Rebhöhen und Rebsorten einzustellen. Es handelt sich um einen der ersten Roboter, der speziell für die Arbeit im Weinberg entworfen wurde. Ted‘s präzise mechanische Unkrautentfernung schränkt nicht nur den Pestizidbedarf ein (oder macht Unkrautvernichtungsmittel vollständig überflüssig), sondern bietet auch eine Lösung für arbeitsintensive Aufgaben im Weinberg. Unter Verwendung von GPS für präzise Ausrichtung läuft der Roboter für das Äquivalent eines vollen Arbeitstages (8 Stunden) alleine und bearbeitet dabei bis zu 5 Hektar Fläche pro Tag. Was Ted und vergleichbare neu entwickelte Roboter von mechanischen Lösungen der Vergangenheit unterscheidet, ist, dass sie nicht nur für bessere Effizienz, sondern auch der Nachhaltigkeit wegen entwickelt wurden. In Châteauneuf du Pape, diesem Bollwerk der Tradition, trafen wir auf einen sehr ähnlichen Roboter, der Pierre Fabre, Miteigentümer und Direktor des Château Mont-Redon, sehr beeindruckte – und zwar konkret mit seiner Fähigkeit, in den mit Feldsteinen übersäten Weinbergen Unkraut zu jäten. „Wir waren überrascht, wie akkurat und verlässlich er arbeitete“, verriet er uns. Wenn Roboter in einer derart herausfordernden Umgebung Unkraut jäten können, dann können sie es überall. Nach erfolgreichen Versuchen in Frankreich, darunter vom Cognac-Produzenten Hennessy und Château Clerc Milon im Bordeaux, wurde Ted im Jahr 2022 erstmals dem amerikanischen Markt präsentiert.
Roboter tauchen überall auf – von der Schweiz bis nach Stellenbosch.
Ted und Bakus stehen stellvertretend für eine wachsende Anzahl technologischer Fortschritte, die in den letzten Jahren in den weinproduzierenden Regionen und Institutionen erzielt wurden. In Spanien hatte 2016 VineScout Premiere, ein autonomer Roboter für die Überwachung, Kartierung und das Management im Weinberg; er kann innerhalb einer Stunde über 3.000 Datenpunkte sammeln, darunter Informationen wie Temperatur, Wasserverfügbarkeit und Biomasse – und das in einer herausfordernden und sogar unwirtlichen Umgebung.
Jenseits des Atlantiks haben Wissenschaftler der Cornell University in der amerikanischen Weinbauregion Finger Lakes eine Reihe kleiner PhytoPatholoBots (PPB) entwickelt, die bei der Entwicklung neuer krankheitsresistenter Rebsorten helfen sollen. Die ersten Bots wurden im Frühjahr 2023 an vier Rebschul-Programmen in den USA entsandt und befinden sich nun im ersten Jahr eines Projektes mit vierjähriger Laufzeit. Mit Hilfe von Computer-Vision, KI und Robotik sollen diese Bots Echtzeit-Daten sammeln, um die Gesundheit und den Zustand der einzelnen Reben zu beurteilen. Dabei analysieren sie die Pflanzen Blatt für Blatt. Die Verantwortlichen des Cornell-Projektes hoffen, die Ergebnisse dieses Versuches verwenden zu können, um Weinbauern davon zu überzeugen, neue krankheitsresistente Sorten zu pflanzen – und damit den Einsatz von Pestiziden deutlich zu verringern.
Digitalisierter Geschmack
Lenken wir unseren Blick vom Weinberg in die Probierstube: Programme zur Übersetzung und Produktion von Texten werden täglich besser und reduzieren damit das sowieso schrumpfende Reich der Copywriter und Kritiker – vor allem, wenn es um Verkostungsnotizen gilt. Doch während KI durchaus in der Lage ist, erfolgreich den Schreibstil eines bestimmten Kritikers oder des Autors zu imitieren und effizient typische Charakteristiken, spezifische Jahrgangsbedingungen und andere veröffentlichte Meinungen zu synthetisieren, kann sie noch nicht riechen, kosten und beurteilen.
Noch nicht. Das heißt nicht, dass nicht versucht werden würde, in diesem Bereich deutliche Fortschritte zu machen. Im vergangenen Jahr hatte PINOT (Project for the Development of Artificial Intelligence in Oenological Technology) auf der ProWein Premiere. In Kooperation mit dem Weincampus DLR Neustadt (Halle 1, A65) und dem Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen (IIS) geht es in dem 2021 gestarteten Projekt darum, eine von KI unterstützte Analyse von Weinaromen zu entwickeln, welche „die Lücke zwischen sensorischer Wahrnehmung und chemischer Analyse schließt“. Die Hoffnung ist, dass die Kombination von KI-Algorithmen und Sensoren für flüchtige organische Verbindungen es möglich machen wird, sensorische Wahrnehmungen zu digitalisieren. Trotz der binären Vorlieben für Einser und Nullen und der Klarheit ihrer Codes, handelt es sich bei Robotern immer noch um Werkzeuge, die menschlichen Input nicht komplett ersetzen können. Die Befürworter voll-automatisierter Weinberge (selbst der Bio-Varianten) sind wenige. Doch indem sie die Verarbeitungsgeschwindigkeit der Robotik nutzen, erhoffen sich Weinproduzenten, mehr Zeit für das zu haben, was die Roboter (bisher) nicht können: Ästhetische Entscheidungen treffen und auf den Bauch hören. Und darauf stoßen wir gerne an!