Als Covid-19 sich vor zwei Jahren immer weiter ausbreitete, Nordamerika und Europa auch erreichte, sah es für Planet Wein ziemlich schlecht aus. Viele Insider fürchteten, die globale Weinbranche würde in eine Krise gestürzt werden, die der Großen Depression in den 1930-ern gleichkäme. Doch Wein demonstriert weiterhin eine bemerkenswerte Flexibilität und Widerstandsfähigkeit – wie die erste ProWein seit drei Jahren beweist, die am 15. Mai in Düsseldorf beginnt.
Und nirgendwo ist es offensichtlicher als im Fall von Champagner. Offizielle Branchenzahlen zeigen, dass es im letzten Pre-Virus-Jahr, 2019, sehr gut für die Region lief, die sich nur eine Stunde östlich der Pariser Vorstädte befindet. Im Jahr 2019 wurden insgesamt 297 Millionen Flaschen für 5 Milliarden US-Dollar verkauft, 2020 fielen die Zahlen jedoch auf nur 244,1 Millionen Flaschen für 4,2 Milliarden US-Dollar. Keine große Überraschung, schließlich war den meisten Konsumenten nicht nach Feiern zumute. Niemand konnte allerdings wissen, ob dies das neue Normal wäre oder ob die Konsumenten sich dem Champagner irgendwann wieder zuwenden würden.
Aktuelle Berichte des Handelsverbands Comité Champagne zeigen jedoch, dass der Verkauf französischen Champagners 2021 mit 332 Millionen verkauften Flaschen, also 32 Prozent mehr als im Vorjahr, ein atemberaubendes Comeback erlebte. Und auch die monatlichen Zahlen der US-Importe französischer Schaumweine – größtenteils Champagner, aber auch Crémant aus dem Elsass, dem Burgund und der Loire – sprechen für sich. Historisch ist Oktober der stärkste Monat, mit Importen im Wert von etwa 100 Millionen US-Dollar, weil Importeure sich dann auf die Feiertagsverkäufe vorbereiten. Im Oktober 2020 waren es nur 79,55 Millionen US-Dollar. Allerdings stiegen die Zahlen im Oktober 2021 auf rekordverdächtige 136,57 Millionen US-Dollar, um im November 2021 mit 141,1 Millionen US-Dollar sogar noch übertroffen zu werden.
Jean-Marie Barillère, Präsident der Union des Maisons de Champagne, die 70 Prozent der Weinbranche der Region ausmachen, berichtet von einem ähnlich starken Wachstum der Verkäufe in Großbritannien, Kanada und Australien. Und auch in Spanien und Deutschland ist die Nachfrage groß.
Doch es dreht sich nicht nur um Schaumweine – in Italien zeigte sich ein ähnliches Muster. Als dort im Frühling 2020 Umsätze von beinahe Null verzeichnet wurden, versetzte das die Weinbranche des Landes, das weltweit zu den Top-Produzenten gehört, in Angst und Schrecken. Bei den Nobel-Sparten, z. B. Barolo und Brunello di Montalcino, wo man vorwiegend vom Verkauf der Weine in Restaurants abhängig war, wurden drastische Maßnahmen in Betracht gezogen, etwa ein Appell zur Änderungen der strengen Klassifikations-Regeln, während andere Regionen abwogen, ob sich eine Produktionsreduktion und die Verwandlung günstigerer Weine in alkoholbasierte Desinfektionsmittel lohnen würde. Wie anderswo erholten sich die Umsätze aber auch hier – und waren letztendlich besser als zuvor. Brunello di Montalcino und Lugana verzeichneten Umsatzsteigerungen von 47 Prozent bzw. 49 Prozent, dicht gefolgt von Barolo mit 43 Prozent.
Und wenn wir unseren Blick für einen Moment nach innen richten, kann man mit Fug und Recht behaupten, dass der Aufschwung in Deutschland bei den Herstellern mit der größten Präsenz und der größten Flexibilität am stärksten ist. Diejenigen Hersteller, die historisch von einem einzigen (oft erfolgreichen!) Umsatzbringer abhängig waren, hatten zu kämpfen – während diejenigen, die in der Lage waren, die Umsatzeinbußen von 2020 zu erkennen und mit passenden Maßnahmen darauf reagierten, diese Einbußen wieder wettmachen konnten, ja mehr noch: Einige Hersteller berichten sogar, dass das Jahr 2021 ihr bestes Jahr in der jüngeren Geschichte sei.
Das Muster zurückgehender Umsätze im Jahr 2020, gefolgt von einem bedeutsamen Wachstum in 2021, ist auf dem gesamten Planet Wein zu beobachten. Was viele Brancheninsider jedoch überraschte, ist die Flexibilität, die es bestimmten Sparten der Branche ermöglichte, während der härtesten Phase der Covid-Krise zu wachsen. Dieses Wachstum nahm zwar viele Formen und verschiedene Ausmaße an, konnte aber verlässlich auf eine bestimmte Quelle zurückgeführt werden: der Internethandel. Laut einem Nielson-Gutachten stiegen die Online-Weinverkäufe 2020 um 234 Prozent. Am besten erging es denjenigen, die sich die E-Commerce-Kanäle bereits erschlossen hatten, oder es schnell taten. Scharen von älteren Kunden, die Wein niemals zuvor online gekauft hatten, strömten zu Händlern und Produzenten mit attraktiven Online-Shops und klickten „jetzt kaufen“, denn Konsumenten gewöhnten sich an den Gedanken, die meisten Aspekte ihres Lebens an die Haustür geliefert zu bekommen. Weinverkostungen auf Zoom wurden plötzlich zur Normalität für die gesamte Branche. Und wer bereits online präsent war, nutzte die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zum gezielteren Marketing und letztendlich zur Umsatzsteigerung. Als die weniger gut ausgestatteten Kollegen diese Erfolge sahen, stockten sie ihre eigenen Online-Dienste schnell auf. Selbst Wein-Content erfuhr einen spürbaren digitalen Boom. Anfang 2021 war das globale Online-Wein-Update fast abgeschlossen.
Es lässt sich nicht bestreiten, dass Covid der Weinbranche in jedem Land und in jeder Region einen gewissen Schaden zugefügt hat, aber wir glauben, dass es auch eine Revolution beschleunigt hat, die unvermeidbar war. Nun ist es für jeden Weinproduzenten klar, dass Online-Verkäufe – entweder direkt an den Endverbraucher oder über Händler – für die Branche heute essenziell sind. Die besonders smarten unter ihnen verstehen, dass die Zukunft daran hängt, ihr voluminöses und schweres analoges Produkt (Wein in Glasflaschen) clever an die schwerelosen digitalen Gefilde zu docken.
So passt es zu dieser Modernisierung in Warp-Geschwindigkeit, dass altmodische Weinstile den größten Schlag einstecken mussten – und es nicht zurück auf die Füße geschafft haben. Gewürztraminer aus dem Elsass ist dafür ein perfektes Beispiel. Die Region Elsass am östlichen Rand Frankreichs konnte ihren Ruf lange behaupten, was zu großen Teilen an den Touristen lag, die wegen den wunderschönen Landschaften und Altstädten kamen. Daher war es keine Überraschung, dass die plötzliche Unterbrechung des Tourismus im Frühling 2020 ein harter Schlag für die Region war. Dass dabei besonders der Gewürztraminer getroffen wurde, war jedoch eine Überraschung, da er von vielen Vertretern der Branche weltweit als Vorzeige-Wein des Elsass galt.
Das Problem war, dass die Konsumenten in vielen Sparten des Marktes den Gewürztraminer d’Alsace schon lange als altmodische Wein-Kategorie betrachten – wegen der typischen Kombination von extravaganten Aromen, hohem Alkoholgehalt, geringer Säure und einem Hauch Süße. Die Umsätze waren daher sehr vom Tourismus abhängig, häufig Souvenir-Verkäufe. Wegen des Mangels an Käufern fiel der Staffelpreis für den ertragsarmen Gewürztraminer steil ab, bis er weit unter dem Staffelpreis für Riesling lag, der deutlich großzügigere Erträge bietet. Das führte zu einer Welle der Weinbergs-Neubepflanzung, die diesen Frühling weitergehen wird. Clevere Produzenten veränderten weiße Verschnittweine leicht, sodass sie mehr Gewürztraminer enthielten.
Eine traditionelle Branche wurde so in die E-Stratosphäre katapultiert – bereit oder nicht. Covid war tatsächlich ein nie dagewesener Weckruf. Und nirgendwo wird man besser erkennen können, wer die Schlummertaste gedrückt hat und wer aufgestanden ist als auf der ProWein 2022 vom 15. bis 17. Mai in Düsseldorf.