07/03/2013
Wozu noch Weinjournalismus?
Sinkende Auflagenzahlen einschlägiger Wein- und Genusspublikationen oder gar deren Einstellung nähren vor allem in den sozialen Netzwerken des Internets die Auffassung, dass es des Weinjournalismus nicht mehr bedürfe. Er würde, zumeist vom hohen Ross, ohnehin an den Interessen des Publikums vorbei schreiben. Tatsächlich findet man im Internet zu fast jedem Wein dieser Welt Meinungen und Informationsschnipsel, so dass sich Weinfreunde mit wenigen Mausklicks über die Weine informieren können, die sie interessieren. Ist damit der Weinjournalismus tatsächlich überflüssig geworden? Oder kommen ihm nur neue Aufgaben zu?
Seriöser Weinjournalismus hat in den letzten 20 Jahren viel bewirkt und Anteil an der gestiegenen Qualität deutscher Weine wie auch deren Akzeptanz im In- und Ausland. Doch wenn man in die Blogosphäre hinein hört oder sich in Leserbriefforen informiert, dann sind nicht nur Printmedien nicht mehr zeitgemäss, sondern auch die Formate, in denen die Informationen verabreicht werden. Weinfreaks und -profis, alte wie junge, wenden sich verstärkt den mitunter prominent besetzten sozialen Netzwerken des Internets zu und erarbeiten sich im Austausch untereinander das Wissen, das ihnen fehlt. Auch über Weinqualitäten wird munter – häufig aber auch besserwisserisch und endlos – debattiert, ebenso über Weinjournalisten, die zumindest in deutschen Foren häufig zu Ahnungslosen oder zu noch Schlimmerem degradiert werden. Man fühlt sich von ihnen gelangweilt und bevormundet, noch dazu oftmals schlecht informiert. Weinhändler erkennen, dass sie heute mit bestplatzierte Weinen in Verkostungen weder Ausverkäufe erzielen noch Neukunden gewinnen können und halten den Weinjournalismus jenseits der Parker-Punkte inzwischen ebenfalls für irrelevant. Gibt es überhaupt noch jemanden, der etwas über Wein lesen will? Und wenn ja, was könnte das sein? Darüber wollen wir uns mit prominenten Leuten aus der Weinbranche unterhalten: mit Winzern, Werbern, Händlern, Journalisten und Verlegern. Moderation: Stephan Reinhardt, VINUM-Chefredakteur für Deutschland, sowie Thomas Vaterlaus, Chefredakteur der Schweizer VINUMAusgabe.
Dr. Jochen Siemens
Der Mann kennt beide Seiten: Als Journalist brachte er es bis zum Chefredakteur der Frankfurter Rundschau. In gleicher Funktion war er danach auch für Alles über Wein tätig, bevor er sich ein über 100-jähriges Weingut in Serrig an der Saar gönnte. Seit 2006 macht er sich nun auch als Rieslingwinzer einen Namen und erlebt den Wandel vom berichtenden Subjekt zum beobachteten Objekt.
«Weinjournalismus braucht man, wenn er unabhängig ist. Die Frage lautet also: Ist Weinjournalismus möglich?»
Paul Fürst
Seine Spätburgunder aus Unterfranken sind selbst in Burgund hoch geschätzt und Burgund wäre wohl die Heimat der Fürst-Familie, wenn nicht der Main so idyllisch durch den rot-grün getönten Miltenberger Kessel flösse. «Wir leben im Paradies», sagt Fürst, der trotz allen Lobs, das er durch die Presse seit einem Vierteljahrhundert erhalten hat nicht wunschlos glücklich mit ihr ist.
«Weine bewerten kann jeder. Uns fehlt eine Weinkritik, die weinkulturelle
Zusammenhänge und damit verbundene Stilfragen beleuchtet.»
Vijay Sapre
Er war zunächst Taxifahrer, dann Werbetexter und sorgte mit mobile.de dafür, dass (fast) jeder Mensch das für ihn passende Auto finden konnte. Vor einigen Jahren begann Sapre dann damit, sich seiner wahren Leidenschaft zu widmen: gutem Essen und gutem Wein. Er erfand eine Zeitschrift, die nicht mit Chi-Chi und Besserwisserei langweilt, sondern dank spannender Geschichten und Perspektiven zu einem «Magazin für Essen und Leben» wurde: Effilee.
«Weinjournalisten sind in der Regel nicht in der Lage, Geschichten zu erzählen.»
Daniele del Gesso
Im Netz bekannt als Finkus Bripp, hat sich der in München lebende Italo-Kanadier binnen weniger Jahre einen Namen als Hyperkreativer gemacht. Mit wineontherocks.tv hat er den Wein und seine Erzeuger bis hin zur Traube zu Youtube-Stars gemacht, während die bei wineontherocks.com angebotenen Weine erahnen lassen, was in den Adern von Finkus Bripp fliesst: Wein mit Seele und Rockmusik.
«Wein soll nahbarer, verständlicher und unterhaltsamer, aber trotzdem mit Kompetenz kommuniziert werden.»
Bernd Kreis
Einstmals Europameister der Sommeliers, führt Bernd Kreis heute ein Weingeschäft mit mehreren Filialen in Stuttgart und Absatzkanälen bis nach Paris. Sein Programm ist so individuell wie er selbst und nicht ein einziges mal hat er in seinen Katalogen oder Kundenbriefen Punktwertungen oder gar Zitaten von Weinkritikern bemüht, um sein Weinprogramm zu verkaufen. Er ist selbst wissend und kritisch genug und schreibt darum auch Bücher.
«Weinjournalismus? Den machen wir lieber selbst.»