Eine gute Geschichte braucht auch einen Helden. Hier gibt es viele Kandidaten. Einige sind sehr futuristisch, etwa Ernteroboter und selbstregelnde Bewässerungssysteme. Andere sind praktischer Natur, zum Beispiel die Lese inmitten der Nacht, um der Hitze zu entgehen. Andere blicken zurück, um der Zukunft zu begegnen, mit altmodischer Technologie wie Lehmamphoren. Alle dieser unterschiedlichen Herangehensweisen sind hier auf der ProWein, der weltweit größten und wichtigsten Fachmesse für Weine und Spirituosen vertreten. Die Schlüsselfigur unserer heutigen Geschichte kommt aus der letzten Kategorie des Altmodischen: der gemischte Satz.
Das Konzept ist ebenso einfach wie traditionell: Mehrere Rebsorten werden in einem Weinberg gemeinsam angebaut und gelesen, um dann auch gemeinsam vinifiziert zu werden. Im Gegensatz zum „modernen“ Weinbau findet der Verschnitt hier also im Weinberg statt, nicht im Keller. Viele Befürworter des gemischten Satzes halten diese Weine für die wenigen verlässlichen und effektiven Übermittler von Terroir, da viele unterschiedliche Rebsorten, die miteinander gepflanzt sind, das einzigartige Profil des Ursprungs eines Weines auf eine Art und Weise ausdrücken, in der es einer einzelnen Rebsorte nicht möglich wäre. Es ist unbestritten, dass die charakteristischen Aromen und Noten einer Rebsorte ein notwendiger Teil der Persönlichkeit jedes reinsortigen Weines sind und den Charakter des Weinbergs überwältigen können.
Aus Sicht einiger Historiker ist dieser traditionelle Stil der Weinbereitung die ursprünglichste Weinbaumethode Europas. Entsprechende Aufzeichnungen gehen bis auf das 17. Jahrhundert zurück und man nimmt sicher an, dass der gemischte Satz im Mittelalter üblich war. In diesem Zeitalter war das Konzept reinsortiger Weine ungewohnt und blieb wegen des damit verbundenen hohen Risikos größtenteils unerschlossen. Aus historischer Sicht diente der gemischte Satz als „low-tech“ Versicherung gegen eine Zerstörung durch das Wetter und Schädlinge. In einem Zeitalter, in dem konsistente Reife häufig eine Herausforderung war, bedeutete die Vielfalt einen riesigen Vorteil. Erst nach der Reblausplage fiel der gemischte Satz in Ungnade, dann verwüstete Mitte des 19. Jahrhunderts (Echter und Falscher) Mehltau den Großteil der europäischen Weinberge. Als Folge dieser Katastrophe wurden die Weinberge häufig mit reinsortigen Pfropfreben neu bepflanzt, und die Praxis des gemischten Satzes geriet größtenteils in Vergessenheit.
Nur an ein paar wenigen Orten, z.B. in Österreich, hielt man die Praxis am Leben, wenn auch in einer anderen Form. Bei den traditionellen „Heurigen“ Österreichs handelte es sich um leicht zu trinkende, anonyme Weine vom gemischten Satz, die im Herbst an der frischen Luft konsumiert wurden. Der Wiener Winzer Fritz Weininger vom Weingut Weininger (Halle 17, Stand F 10) erkannte jedoch die Gelegenheit, dem gemischten Satz die Anerkennung und das Prestige zukommen zu lassen, die ihm gebührte. Sein Ziel war es, neue Qualitätsmaßstäbe für die Weine aus Wien zu setzen, indem gemischte Sätze von geschätzten Weinbergen produziert wurden. „Dies ist der Wein der Wiener“ sagte er. Er gründete die Winzervereinigung WienWein (2006) und war eine der treibenden Kräfte hinter der „Wiener Gemischter Satz DAC“ (2013). Um diese relativ neue DAC einzurichten, die innerhalb der Grenzen der Hauptstadt Österreichs gelegen ist, wurden die 637 ha berühmter Wiener Weinberge permanent und legal an einen bestimmten Stil Wein gebunden – eine ungewöhnliche Entscheidung. Weiningers Lagenwein Nussberg (erster Jahrgang 1999) ist ein flüssiges Testament seiner Leistungen. Durchdacht und komplex aber niemals wuchtig, macht sich Nussberg die Traditionen zu eigen, die ihn zu dem machten, was er heute ist, und erkennt mit seinem zart bitteren Abgang den herausfordernden Weg an, der noch vor ihm liegt.
Doch wie schon zuvor bemerkt, ist ein gemischter Satz unter Umständen mehr als nur eine ästhetische Wahl. Im Angesicht der immer extremeren Wetterschwankungen, bietet der gemischte Satz dem Winzer die Flexibilität, den Ertrag zu schützen und das Risiko zu minimieren. Der gemischte Satz ermöglicht es, den schwankenden Verhältnisse der verschiedenen Jahrgänge Rechnung zu tragen – nicht nur jetzt, sondern auch in absehbarer Zukunft. Der Zauber der Gemischter Satz DAC ist also nicht nur, dass die Weine die regionalen Aromen des Ortes übermitteln, sondern auch die Produzenten belohnen, die verstehen, dass es notwendig ist „flexibel, kreativ und beharrlich zu sein, um die neuen [klimatischen] Herausforderungen meistern zu können“ (Journal of Wine Economics, Vol 11, Num 1, 2016).
Die erneute Konzentration auf Trend und gleichzeitig auch Tradition ist nicht auf die kühlen Klimaregionen der Welt beschränkt. In einem Bericht über den Weinbau Portugals aus dem Jahr 2017 heißt es, dass in „Regionen, in denen bereits ein warmes Klima herrscht (z.B. Alentejo, Douro), der Klimawandel ein ausgeglichenes Reifen der Trauben und die Nachhaltigkeit der existierenden Rebsorten und Weinstile in Gefahr bringt.“ Das sind in der Tat düstere Klimavorhersagen – vor allem, wenn man in Betracht zieht, dass in diesen Regionen bereits einige der besonders spät reifenden Rebsorten angebaut werden. Doch die Bereitschaft Portugals, die Traditionen und Rebsorten der Vergangenheit wieder anzunehmen, könnte die Rettung des Weinbaus bedeuten. Statt sich auf Neupflanzungen oder neue Methoden zu konzentrieren, akzeptiert ein Großteil der Weinproduzenten die Tatsache, dass der Erhalt der existierenden Biodiversität und traditioneller Weinbereitungsmethoden entscheidend ist. Und tatsächlich haben Weine aus mehreren im gleichen Weinberg angebauten Rebsorten aus dem Douro, wie z.B. Quinta do Vallado (Halle 10, Stand G 22) großes Lob für ihre Balance und Eleganz erhalten. Balance und Eleganz die – so würden viele behaupten – sortenreine Weine aus dieser Region einfach nicht erreichen können.
Der Trend reicht auch in den Weinbau der Neuen Welt. Besonders Kalifornien hat eine geschichtsträchtige Tradition von Weinen aus gemischtem Satz, die auf die Zeit nach dem Goldrausch zurückgeht und in der Zinfandel dominierte, und eben nicht Cabernet Sauvignon. Diese Weine wurden häufig als „Burgundy“ oder „Claret“ ausgezeichnet. Dann, nach dem Zweiten Weltkrieg, begann man sich auf die Pflanzung sortenreiner Weinberge zu konzentrieren. Heutzutage wird man sich der Weisheit dieser alten Pflanzungen wieder bewusst. Und diese gemischten Sätze alter Reben erzielen hohe Verkaufspreise, z.B. die exklusiven Flaschenabfüllungen von anerkannten Produzenten wie Stag’s Leap oder Ridge Vineyards (Halle 9, Stand C 06).
Winzer, die heutzutage die Vielfalt mit offenen Armen begrüßen – Vielfalt im Weinbau, wohlgemerkt, obwohl die andere Vielfalt auch keine schlechte Idee ist – haben wahrscheinlich eher die Flexibilität, die nötig ist, um in einem wandelbaren Klima erfolgreich zu sein. An vielen Orten sind es ironischerweise die Weinbauern, die bei dem Aufbau einer spezifischen sortenreinen Identität, welche häufig von Weingesetzen fixiert wird, zu weit gegangen sind und die zu kämpfen haben werden, wenn diese Identität wortwörtlich verdorrt. Manchmal befindet sich die Antwort direkt vor unseren Augen. Als ultimativer Übermittler des Terroirs präsentieren gemischter Satz-Weine eine Identität, die tief im Weinberg verwurzelt ist.