Chenin Blanc wieder groß herauszubringen scheint vielen Wein-Profis weltweit erstrebenswert, nicht nur weil es sich um eine extrem unterschätzte Rebsorte handelt, sondern auch weil sie den Ruf hat, abgesehen von Riesling die einzige weiße Traubensorte zu sein, die über das gesamte Geschmacksspektrum zu beeindrucken weiß – von knochentrocken zu honig-süß, dank ihrer lebhaften Säure und Eleganz. Lepeltier erkennt diese Parallelen zwar an, achtet jedoch immer darauf, die Unterschiede zwischen den beiden Rebsorten hervorzuheben. „Im Gegensatz zu Riesling, haben die Chenin Blanc-Beeren eine dicke Schale, so dass sie nicht besonders anfällig für Edelfäule sind, und selbst wenn die Trauben sehr sorgfältig verarbeitet werden, bekommt man häufig einige Tannine“, erklärte sie kürzlich auf einem Chenin Blanc-Workshop für Jungsommeliers in NYC.
Die Tatsache, dass die Aromen trockenen Chenin Blancs in der Regel diskreter auftreten als im Fall von Riesling, ist ebenfalls ein Vorteil, da dies den Wein als Essensbegleiter flexibler macht. Die Renaissance des Chenin Blanc hängt davon ab, dass Somms die entsprechenden Weine in trendigen Restaurants und Weinbars empfehlen – dieser Faktor ist also von Bedeutung. Zum Beispiel ist man im Freek’s Mill Restaurant in Brooklyn so auf diese Rebsorte bedacht, dass andere Weißweine unter der Überschrift „Not Loire Chenin“ aufgeführt sind, also als Wein, bei dem es sich nicht um Chenin Blanc von der Loire handelt. Das sagt viel darüber aus, wie wichtig der Loire Chenin Blanc hier ist! Bei den Rotweinen gibt es parallel ein paar Seiten mit dem Titel „Not Beaujolais“, derart fühlt man sich bei Freek’s Mill den Weinen der Rebsorte Gamay aus der Region nördlich von Lyon verpflichtet.
Die Paarung dieser Rebsorten mag regulären Weinkonsumenten komisch vorkommen, nicht nur weil Beaujolais immer noch damit zu kämpfen hat, aus dem langen Schatten des Beaujolais Nouveau hervorzutreten – ein Image-Problem, das die Rebsorte Gamay, aus der dieser Wein gewonnen wird, nicht mit Chenin Blanc teilt. Allerdings wird auch Gamay immer noch dramatisch unterschätzt und eignet sich dank seines mittleren Körpers, der lebhaften Frucht und natürlich strahlender Säure hervorragend als Essensbegleiter. Der andere Vorteil, den die beiden gemeinsam haben, ist dass sie deutlich günstiger sind, als die berühmten Namen des Burgunds, die von Wein besessene Konsumenten auf dem gesamten Planet Wein verehren. Das trug eine Menge dazu bei, dass Chenin & Gamay zu dem beliebtesten Weinzwillingspaar von Hipster-Somms wurden.
Um sich zu einem wichtigen internationalen Trend zu entwickeln, müssen diese beiden Rebsorten jedoch konsistent interessante Weine liefern, aus mehr als einem Land, in dem Weinbau betrieben wird – und das ist der springende Punkt, bei dem die beiden dramatisch voneinander abweichen. In Südafrika sind 18,2 % der gesamten Rebfläche mit Chenin Blanc bepflanzt, was ihn zur meistangepflanzten Rebsorte macht (verglichen mit 9,4 % Rebfläche für den trendigen Sauvignon Blanc). Das entspricht fast der doppelten Fläche der grob 10.000 ha an Chenin Blanc-Weinbergen in Frankreich.
In den vergangenen Jahren hat sich in Südafrika rund um die Trauben von alten Chenin Blanc-Weinbergen eine Revolution in der Weinbereitung vollzogen. Zwar stammen viele dieser Weine aus einer mengenmäßig begrenzten Produktion – ein weiteres Plus für die Somms! – doch die von Mulderbosch (Halle 9, Stand B 28) und AA. Badenhorst’s Secateurs (Halle 9) profitieren von einem großflächigen internationalen Vertrieb. Bleibt die Frage, wie Südafrika erfolgreich darauf aufbauen kann?
In Kalifornien ist mit knapp 2.000 ha Rebfläche zwar bedeutend weniger Chenin Blanc gepflanzt, doch die Möglichkeit einer ähnlichen Entwicklung ist sicher vorhanden, da mehr als 85 % dieser Weinberge reif oder alt sind. Bisher waren es allerdings Start-Up-Weinproduzenten statt Industriegiganten, die die Chance ergriffen haben, aus relativ günstigen Trauben coolen Wein zu machen. Folk Machine in Mendocino produzieren sogar einen Chenin Blanc mit Namen Jeanne D’Arc! Eine Reihe wohlbekannter Weingüter in Napa, z.B. Chappellet (Halle 9) und Pine Ridge (Halle 9, Stand C 06) produzieren Wein aus dieser Rebsorte, machen aber kein großes Aufheben darum. Werden sie es in naher Zukunft etwa tun? Die ProWein, die weltgrößte Fachmesse für Weine und Spirituosen vom 17. bis 19. März 2019, ist die ideale Gelegenheit, sich umzuschauen und sich auf die Suche nach diesen seltenen Tropfen zu machen.
Bei Gamay liegt die Sache ganz anders. In Frankreich nimmt das Image von Gamay langsam Fahrt auf und gewinnt an Bedeutung. Im Jahr 2001 machte Beaujolais Cru 26 % der nationalen Produktion aus, im Jahr 2015 war diese Zahl auf 40 % angestiegen, und dieser exzellente Jahrgang war schnell ausverkauft. Die steigende Qualität dieser Weine hat das Anbaugebiet Beaujolais sogar auf die Top-ten-Liste der weltbesten Weinreise-Destinations des US-amerikanischen Magazins Wine Enthusiast gebraucht. Außerhalb Frankreichs ist Gamay jedoch immer noch eher eine Anomalität. Die einzigen wesentlichen Pflanzungen sind in der Schweiz zu finden, wo sie 10 % der Weinbergsfläche ausmachen. Allerdings wird er zum Großteil mit Pinot Noir verschnitten, für einen leichten Rotwein genannt Dôle. Das Problem ist, dass in der Rotweinproduktion der Schweiz mehr Ambitionen in Syrah gesteckt werden (der nur 1 % der Rebfläche ausmacht) statt in Gamay. In Ontario (Wines of Ontario, Halle 9, Stand D 48) gewinnen kanadische Produzenten wie Château des Charmes, Malivoire und 13th Street Kultweine aus dieser Rebsorte, diese sind außerhalb Kanadas jedoch fast unbekannt. Können wählerische, naturbesessene Wein-Freaks außerhalb Kanadas dafür interessiert werden, diese zu bewerben? Obwohl die Macht der Weinkritiker des Westens aufgrund der sozialen Medien deutlich zurückgegangen ist, könnte der Enthusiasmus einiger einflussreicher Weinkritiker für diese Rebsorte vielleicht doch gerade so ausreichen, um den Gamay-Trend auf den breiteren Weinmarkt zu übertragen.
Zurück zu den Weinbars und Restaurants von New York City: Dort gehört der von den Finger Lakes in Upstate New York stammendet „Terassen“-Gamay des Star-Somms Thomas Pastuzak zu den coolsten Rotweinen. Allerdings ist die Produktion wirklich klein, da es in der gesamten Region nur einen Weinberg für diese Rebsorte gibt (Sheldrake Point, Halle 9 D28). Immer wieder wird das Vorankommen Gamays in unterschiedlichen Weinbauregionen weltweit unvermittelt durch den Grenzwall begrenzter Verfügbarkeit gestoppt. Selbst in Kalifornien werden nur 105 ha angebaut!
Doch seine zugänglichen, saftigen Eigenschaften machen die Hoffnung auf fortgesetzte Aufmerksamkeit und letztendlich auch mehr Rebpflanzungen. Die Wachstumschancen für Chenin Blanc sind deutlich besser – allerdings würde Wachstum sicher auch gewisse Einbußen am Coolness-Faktor bedeuten. Es wird auf jeden Fall spannend auf der ProWein 2019 zu sehen, welche der internationalen Winzer sich diesen Rebsorten weiter annehmen werden.