Von Peter Eichhorn
Wer möchte dem Autor und Pulitzer Preisträger Dave Barry widersprechen, der zu Recht bemerkte: „Ohne Frage ist Bier die größte Erfindung der Menschheit. Gut, ich gebe zu, das Rad war auch keine schlechte Idee, aber zu einer Pizza passt es nicht halb so gut wie ein Bier.“ Jedoch – über die vergangenen Jahrzehnte geriet das Lieblingsgetränk aufs Abstellgleis. Bierstile verschwanden, und Vielfalt in der Gastronomie gab es höchstens noch in Bayern, insbesondere in Franken. Neidvoll blickte man in Großbritannien auf ein Dutzend glänzender Zapfhähne, über die dort jeder Pub mindestens verfügt und aus denen die verschiedensten Ales und Lagerbiere strömen. Und dann kam noch die so genannte „Craft Beer Revolution“, jene neue Welt der Biervielfalt. Ausgerechnet aus den USA – jenem Land, was die hiesigen Biertrinker doch mit Vorliebe als Heimat fader Dünnbiere abgestempelt hatten. Und plötzlich kommen ausgerechnet von dort die Inspirationen zu neuen Brauverfahren, einem vielschichtigen Umgang mit Hopfen und der Vorschlag, Bier nicht nur als Durstlöscher, sondern auch als Genussmittel zu betrachten.
Heute ist auch hierzulande Bier wieder ein Trendgetränk, das Gastronomen allerhand Möglichkeiten bietet, Gäste neu zu überraschen und zu begeistern. Wagen wir uns an einen Schnellkurs zu moderner Bierkunde, der an den zahlreichen Ständen mit Brauspezialitäten im Rahmen der ProWein sofort von der Theorie in die Praxis umgesetzt werden kann.
1. Obergärig und Untergärig
Die beiden grundlegenden Varianten der Brautechnik, benannt nach der wichtigsten Zutat im Bier, der Hefe. Eine Redensart besagt: „Der Brauer macht den Sud, die Hefe macht das Bier.“ Obergärige Hefen benötigen Temperaturen von 15 bis 25 Grad Celsius und lagern sich nach dem Gärprozess an der Oberfläche ab. Untergärige Hefen arbeiten bei niedrigeren Temperaturen von 5 bis 10 Grad Celsius und sinken auf den Boden des Gärkessels. In der Hefebank in Weihenstephan lagern um die 400 verschiedene Bierhefe-Sorten und stehen den Brauern zur Verfügung. In der englischen Sprache bezeichnet ‚Ale‘ die obergärige und ‚Lager‘ die untergärige Kategorie. Klassische obergärige Biersorten in Deutschland sind Weizenbier, Berliner Weiße, Kölsch oder Altbier. Typische untergärige Vertreter sind Pils, Helles, Schwarzbier, Märzen oder Export. Der Bierstil Porter wird ebenfalls traditionell hierzulande gebraut. Ihn gibt es ober- und untergärig.
Ein spannender untergäriger Probiertipp auf der Messe ist die „Helle Aufregung“ der Landgang Brauerei aus Hamburg (Halle 7 / D44). Ein süffiges Helles nach tschechischem Vorbild, eingebraut mit den Hopfensorten Hallertauer Cascade, Saazer und Sladek. Hervorragend gebraut wird auch im Baltikum. Genys Brewing aus Litauen (Halle 7 / B53) bietet mit dem Baltas Melas eine schmackhafte Interpretation eines klassischen belgischen Bierstils, dem Witbier. Ein spritziges Sommerweizen, das mit Orangenschalen und zuweilen auch mit Koriander eingebraut wird.
2. Aromahopfen
Hopfen sorgt im Bier für Haltbarkeit, Bitterkeit, Schaumbildung und – neuerdings wieder – für ein vielfältiges Aromenspektrum. Bewährte Pilstrinker nehmen in ihrem Lieblingsgetränk gerne eine ausgewogene Bitternote wahr. Diese stammt von den klassischen Hopfensorten, die gerne als Edelhopfen oder Bitterhopfen bezeichnet werden. Die Craft Beer Revolution entdeckte die Aromahopfensorten neu. Jene Hopfensorten mit Namen wie Amarillo Cascade, Centennial, Chinook, Citra oder Sorachi Ace, die Biere mit aufregenden Frucht- oder Kräuternuancen versorgen. Die bayerische Hallertau ist das größte zusammenhängende Hopfenanbaugebiet der Welt, und die dortigen Hopfenbauern waren zuletzt eifrig dabei, neue Hopfensorten zu entwickeln. Und so hören wir derzeit immer öfter von Hopfen-Innovationen, wie Polaris, Mandarina Bavaria, Ariana oder Callista. Letzteres ist gleichsam Namensgeber des Craftwerk Mad Callista. Ein leichtes Session-Lagerbier mit tropischen Nuancen von Maracuja und Stachelbeere. Zu Verkosten am Stand der Craft-Marke aus dem Hause Bitburger, Craftwerk (Halle 7 / D37).
3. Hopfenstopfen
Eine alte Technik, auch Kalthopfung oder Dry-Hopping genannt, wird wiederentdeckt. Dabei wird Hopfen nicht nur während des Brauprozesses in den kochenden Sud gegeben, sondern eine Dosis Hopfen kommt in den Lagertank. Während des Brauprozesses sorgt die Hitze dafür, dass die ätherischen Öle und die darin enthaltenen Aromen verdampfen. Im Lagertank gibt der Hopfen die vielschichtige Aromatik an das Bier ab.
4. Pale Ale & IPA
Wohl keine andere Biergattung steht derart für die neue Braugeneration, wie Pale Ale und die große Schwester, India Pale Ale, kurz: IPA. Der obergärige Bierstil eignet sich ganz besonders, um die Kraft der Aromahopfen zu entfalten. Pale Ale gilt als der klassische Braustil Großbritanniens, seit der Fabrikant Abraham Darby im frühen 18. Jahrhundert eine Ofentechnik entwickelte, die eine behutsame Erhitzung und somit die Herstellung heller Malze ermöglichte. Hundert Jahre später gesellt sich die Kolonie Indien zum Pale Ale. Gerne wird die berühmte Entwicklung beschrieben, wie das traditionelle Pale Ale mit mehr Hopfen und mehr Alkohol versehen wurde, damit es auf der langen Überfahrt in die indischen Kolonien nicht verdirbt. Ab den 1830-er Jahren taucht der Begriff „East India Pale Ale“ erstmals in Großbritannien selbst auf. Heimkehrer aus der Kolonie vermissten das kraftvolle Bier, das sie in Übersee schätzen gelernt hatten. Die Brauereien reagierten und boten diese Bier nun auch auf dem heimischen Markt feil. Heute steht IPA für ein markant gehopftes, aromaintensives Bier mit höherem Alkoholgehalt, als Pale Ale.
Ein herrlich süffiges Pale Ale bietet die Vulkan Brauerei (Halle 7 / D33) aus der Vulkaneifel. 4,9% Vol. Alkoholgehalt und eine balancierte Hopfung mit Mosaic. Als bewährter Klassiker der hiesigen Craft-Braukultur kann die Crew Republic Brauerei aus München gelten. Ihr „Drunken Sailor“ India Pale Ale avancierte zum IPA-Klassiker und ist ein Probier-Muss. Zu verkosten im Rahmen der Gemeinschaft der „Neue Bierkultur“ (Halle 7 / D31).
5. Bier für Weintrinker
Frankreich und Italien sind klassische Weinnationen. Wozu also Bier? Nun, Weintrinker sind oft ausgeschlossener als klassische Pilstrinker mit ihrer starken Markentreue. Vielfalt und Aromenvielfalt sind für Weintrinker selbstverständlich. Und auch wenn die genannten Länder einen eher niedrigen Pro-Kopf-Bierverbrauch vorweisen, so wissen die Konsumenten auch beim Bier Aromatik und Rohstoffqualitäten zu wertschätzen. Zahlreiche Aussteller der ProWein belegen, wie Bier – ebenso wie Wein – ein wundervoller Speisebegleiter sein kann. So beispielsweise ein Triple Grain Strong Ale der Brasserie Alaryk (Halle 7 / D19) aus dem Süden Frankreichs. Oder ein Barley Wine der La Brasserie du Bout du Monde (Halle 7 / D46) von der bretonischen Atlantikküste.
Aus Italien stammen die köstlichen Kreativbiere von Birra Dell' Eremo (Halle 7 / D35), wie beispielsweise das Glaciale Imperial IPA mit einer Prise Honig. Aber insbesondere Sauerbiere faszinieren zahlreiche Weintrinker, insbesondere die Riesling-Liebhaber. Als Probiertipp auf der ProWein käme eine Brlo Berliner Weiße in Betracht (Halle 7 / D31).
Ein Trend, der in der derzeitigen Craft Bier Entwicklung unbedingt beachtet werden sollte, sind die alkoholfreien Biere. Dank der oben beschriebenen Aromahopfung und dem Einsatz neuer Hefekulturen, sind alkoholfreie Biere nun keine Autofahrer-Trostpreise mehr, sondern wahre Genussmittel. Als überzeugendes Beispiel sei der Kapitän von der Hamburger Landgang Brauerei (Halle 7 / D44) dringendst angeraten!