Kommentare von Matias Prezioso, Präsident der argentinischen Sommeliervereinigung
Argentinien ist ein wahrlich außergewöhnliches Land. Es gibt dort eine sehr solide Weinkultur, obwohl 99,99 % des dort konsumierten Weins argentinischer Herkunft ist. Die Gewohnheit der Argentinier, regionale Weine zu trinken, sowie hoch versteuerte Importe und der hohe Dollarkurs gegen den argentinischen Peso tragen zu Argentiniens geringem Angebot an Weinen aus internationaler Herstellung bei.
Das halbvolle Glas gibt den Sommeliers, Restaurantbetreibern und Konsumenten die Möglichkeit, mehr über argentinische Weine zu erfahren. Argentinien hat in seiner Geschichte drei Stufen der Weinerzeugung durchlaufen. Jahrzehntelang stellte Argentinien Quantität über Qualität. Das Land konsumierte in den 1970er Jahren mehr als 90 Liter Wein pro Kopf und trank den Wein auch anders als heute, zum Beispiel mit Eis oder Mineralwasser. Die Einheimischen nannten dieses Mischgetränk, dessen Geschmack zu wünschen übrig ließ, „Soda“. Doch ab einem, ganz besonderen Moment änderte sich dies. In den 90ern sowie zu Beginn des 21. Jahrhunderts nahm die Qualität der argentinischen Weine zu und ein neuer Abschnitt in der Geschichte der argentinischen Weinkultur begann. Mit neuen Investitionen, modernerer Arbeitstechnologie auf den Weingütern sowie in den Weinbergen und den umfangreichen Kenntnissen von ausländischen Weinexperten schufen wir uns einen Platz in der Welt. Dies hat dazu geführt, dass wir heute den Malbec schätzen, der Mendoza sich auf internationalen Märkten großer Beliebtheit erfreut und lokaler Wein, genauso wie Tango, Steak und Fußball, zu einem Symbol für unser Land wurde.
Dieser Moment hat uns zu dem gemacht, was wir heute sind. Jedoch wechselt Argentinien nun in eine neue Phase. Für das Land zeichnen sich scheinbar zwei Wege ab: Vielfalt und Heimkehr. Beide Begriffe sind nicht abstrakt, sondern viel mehr verankert in Überzeugungen und Festlegungen.
Vielfalt bedeutet, Produktionsanlagen auszubauen, mehr Weinsorten und -arten anzubauen. Aufgrund der Allgemeingültigkeit des Begriffs wäre es heutzutage falsch „Wein aus Mendoza“ zu sagen, wenn man Mendoza bestellen möchte. Genauso ist es falsch, verschiedene Regionen wie das Alto Valle del Río Negro, das Küstengebiet des Atlantiks, San Patricio del Chañar oder die jungen, abenteuerlichen Weinberge der Provinz Chubut unter „Wein aus Patagonien“ zusammenzufassen.
Wir beginnen, neue Sorten anzubauen oder die altbekannten mit Qualität im Hinterkopf neu zu erfinden. So wurde zum Beispiel vom Osten der Region Mendoza bis in den Nordwesten Argentiniens die Creole-Rebe aufgewertet. Auch der Anbau der geschichtsträchtigen Semillón-Rebe mit ihren traditionsreichen Weinbergen hat sich gewandelt. Schnellwachsende rote und weiße Trauben werden mittlerweile in Gebieten wie Chubut und der Region um Buenos Aires angebaut, auch wenn es vor Kurzem noch undenkbar gewesen wäre, diese als Anbaugebiete für qualitativ hochwertige Weine zu nutzen.
Doch da, wo es Vielfalt gibt, besinnt man sich auch auf seine Wurzeln zurück und geht in sich. Argentinische Gastronomen wurden beispielsweise über viele Jahre hinweg von ausländischen, kulinarischen Trends beeinflusst. Das bisher erlangte Wissen wird nun vermehrt um die heimische Küche erweitert, wobei man die jeweilige Herkunftsregion nicht wie einen Punkt auf der Landkarte darstellen möchte, sondern mitsamt all ihrer Tradition und Kultur.
Und an dieser Stelle hebt sich der Malbec als Schnittstelle hervor, denn in ihm vereinen sich Vielfalt und Heimkehr und bilden eine Einheit. Der Malbec vereint beide Komponenten mit seinem vollen Geschmack und seiner Vielseitigkeit und bildet somit einen Wein, dessen Herkunftsregion man auch mit dem Geschmackssinn wahrnehmen kann. Auch der Valle de Uco ist ein Wein, dem seine Bezeichnung nicht gerecht wird, denn das entsprechende Weinbaugebiet besteht aus einer Reihe von Anbauorten, deren Weinsorten jeweils ein ganz eigenes Geschmacksprofil aufweisen, wie z. B. Guatallary, Paraje Altamira, Los Chacayes, Vistaflores, San Pablo oder El Cepillo. Diese Subregionen sowie die Hauptanbaugebiete von Luján de Cuyo sind bereits so viel mehr als nur eine Erwähnung auf dem Flaschenetikett bzw. technischem Datenblatt, dem jeder seine eigene Interpretation hinzufügt. Die Meinung, die jeder Winzer für sich selbst bildet, ist für den Stil des Weines entscheidend. Die letzten Jahre, und hierbei besonders die Weinlese von 2016, haben zu dieser Besinnung der Winzer und Diplomlandwirte beigetragen und sie verstärkt. Die Winzer haben verstanden, dass guter Wein sich nicht nach Rezept keltern lässt, dass man nicht auf jedem Boden nach festen Regeln anbauen kann, sondern es eines Verständnisses über den zu bepflanzenden Boden bedarf, dass die Anbauungs- und Bewässerungsart variieren kann und dass man diese nicht einschränken sollte, denn nur das mutige Ausprobieren von verschiedenen Anbauungsweisen ist zielführend. Außerdem hilft es zu wissen, dass der Säuregrad wie ein roter Faden und sogar wichtiger als Tannine sein kann. Außerdem müssen wir aufhören, Wälder zu verteufeln und sie nachhaltig zu nutzen.
Heute trinken Argentinier Weine, die vermutlich erst in fünf Jahren auf internationalen Märkten erhältlich sein werden. Weinhersteller beginnen gerade erst damit, sich tiefgreifendes Wissen über die Subregionen des Uco-Tals anzueignen, aber mit etwas Glück findet man in Buenos Aires erfahrenere Winzer. Diese Stadt hat zwar kein so großes Angebot an internationalen Weinen, wie es in amerikanischen oder europäischen Städten der Fall ist, doch es gibt eine Vielzahl von konkurrenzlosen argentinischen Weinen und Sommeliers, die jedes noch so kleine Detail über jedes Anbaugebiet kennen und zu jedem Wein eine Geschichte erzählen können.