Das immer weiter aufgefächerte Angebot bedient immer kleinere Nischen bis hin zu sozialen Milieus. Öko-Freaks, Urbanisten, Esoteriker, Erdverbundene, Smoothie-Fans, Weltbürger: Praktisch lässt sich jede gewünschte Zusammenstellung von Attributen durch die Zugabe von Trockenpflanzen und einem bestimmten Design ausdeklinieren.
Natürlich werden auch unterschiedliche soziale Schichten bedient. Der „Skiclub Kampen North Sea“ erklärt sich dem heimischen deutschen Publikum schon im Namen. Ein Skiclub im elitären Kampen auf der Nobelinsel Sylt in der Nordsee. Nach dem Vorbild amerikanischer Rapper, die auf exklusive Cognac-Abfüllungen schwören, vertreibt der deutsche Gangsta-Rapper Sido „Kabumm“ in mundgeblasenen Flaschen.
Wer möchte, kann ein komplettes Rollenverständnis an der Bar bestellen: Die pinkfarbene „Ladies Edition“ des belgischen Spring Gin spricht gesundheitsbewusste Frauen mit moderaten 38,3% Alkohol an. Die Aromen werden von weißem Pfirsich und „China White Monkey Silver Needle Tea“ bestimmt. Letzteren ernten trainierte Affen in über 2000 Meter über dem Meeresspiegel. Ein Cocktail mit eingebauten Katzenvideo quasi. Genossen wird mit Rose Lemonade und Granatapfelkernen.
Überzeugendes Storytelling
Noch mehr als beim vergangenen Wodka-Hype überzeugt die Kunden das richtige Storytelling. Paradebeispiel ist Monkey 47, der den verschrobenen Begriff „Schwarzwald Dry Gin“ hip machte. Die 47 handverlesenen, teilweise regionalen Zutaten und Schwarzwälder Quellwasser gehen nach Angaben der Erfinder auf Montgomery Collins zurück. Der Commander der Royal Air Force kam 1945 nach Deutschland und legte sich später im Schwarzwald einen Ruhesitz zu.
Als wahrer Brite mochte er in Deutschland nicht auf seinen Gin verzichten und produzierte die Spirituose nach einem eigenen Rezept. Das griffen die Markengründer Alexander Stein, ein Ex-Nokia-Manager, und Christoph Keller auf.
Leider sind die Spuren dieses Montgomery Collins verwischt. Dafür hat der Name deutliche Affinität zu Zeitgenossen und Cocktails. Die Generäle Bernard Montgomery und James Lawton Collins waren prominent an der Landung in der Normandie beteiligt und marschierten bis nach Deutschland. Nach Montgomery ist ein besonders trockener Martini benannt. Collins nennt man eine ganze Kategorie von Cocktails. Doch nicht einmal die penibel geführten britischen National Archieves kennen einen Commander Montgomery Collins.
Von den ersten 2000 Flaschen Monkey 47, die im Jahr 2010 abgesetzt wurden, stieg der Verkauf auf 150.000 im Jahr 2013. Der Getränkeriese Pernod Ricard kaufte die Marke. Der Gin hat heute mindestens so viele Auszeichnungen wie Montgomery Collins. Die International Wine & Spirit Competition krönte ihn 2011 zum weltbesten Gin in London, wo die Queen persönlich gern mit Gin anstößt. Ein Quantum Trost: immerhin stammt das Rezept von einem Landsmann.
Monkey 47 wirkte als eine Initialzündung für die dynamische Entwicklung des Markts. Immer mehr Marken entstanden. „Nicht jedes neue Produkt ist wirklich spannend“, sagt Alexander Troppmann, Geschäftsführer der Internethandels BarFish. „Haben muss man sie heute besser trotzdem alle.“ Hielt sich die Nachfrage in Bars außerhalb der britischen Inseln lange Zeit in Grenzen, „fragen die Leute heute auch in Bars nach einem bestimmten Gin.“ „Dieselbe Beweglichkeit muss der Handel auch zeigen“, empfiehlt Olaf Ahnert, der mit seinem Bremer Spirituosen Contor auf die Belieferung von Fachhändlern spezialisiert ist.