Griechenland – große Geschichte, aber die besten Zeiten kommen noch
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Griechenland – große Geschichte, aber die besten Zeiten kommen noch
Eine große Geschichte hat griechischer Wein und, wenn man den Winzern glaubt, eine ebenso große Zukunft. Terroirs von Gebirgslagen bis zu Wüstenregionen, eine Fülle autochthoner Sorten, dazu sehr kleinteilige Produktion, die die meisten Weine zu seltenen Schätzen macht: Griechenland kann mit einer ganzen Reihe von Superlativen aufwarten. Trotzdem ist man in Sachen Vermarktung noch nicht am Ziel. Wie können die Griechen ihre Schätze an den Mann bringen?
Die Minoer auf Kreta waren nicht nur gute Winzer, sondern auch versierte Handwerker. Vor 5000 Jahren benutzten sie Amphoren, um ihren Wein zu verschiffen. Auf der Überfahrt konnte man die Standard-Behälter platzsparend und gut gesichert gegen Verrutschen lagern. Damit sie nicht leckten, strichen sie sie von innen mit wasserfestem Baumharz aus.
Rückblickend würden viele griechische Winzer heute auf diese Verpackungsinnovation gern verzichten. Das Harz der Aleppo-Kiefer war nämlich nicht geschmacksneutral, sondern gab den Weinen ihren deutlichen Retsina-Ton. Den intensiven Honig-Harz-Geschmack verbinden Weintrinker in aller Welt als erstes mit griechischem Wein. Dabei hat der so viel mehr zu bieten.
„Das nächste Jahrzehnt“, da ist Winzer Yiannis Argyros überzeugt, „wird das Jahrzehnt des griechischen Weins.“ Das ist nicht aus der Luft gegriffen, allerdings ist die Lage dann doch nicht so einfach. Mit vielen Kalk- und einigen Vulkansteinböden hat Griechenland eine solide Basis. In dem durchweg mediterranen Klima ist es zwar eigentlich schon ein bisschen heiß. Aber in Meeresnähe sorgen kalte Winde für Abkühlung. Dazu gibt es reichlich Hochlagen. Das ganze Land ist von Gebirgen durchzogen, Weingärten liegen bis zu tausend Meter hoch. Selbst auf Kreta vor der afrikanischen Küste fällt regelmäßig Schnee. Dass Griechenland eine Wintersport-Destination ist, ahnen die wenigsten der Millionen Touristen an den Stränden der Ägäis. Die Höhenlagen sind auch ein Trumpf im Kampf gegen den Klimawandel.
Das zerklüftete Festland zieht sich von der bulgarischen Grenze bis zur Adria. 3054 Inseln sind bis vor die Küsten Asiens und Afrikas über die Ägäis verstreut. So gibt es keine großen Anbaugebiete und vor allem keine Icon-Regionen. Griechenland hat keine Toskana und keine Bourgogne, die international einen eigenständigen Ruf haben.
Angenehmer Lebensstandard mit Meerblick
Dabei ist Griechenland die Geburtsstätte der europäischen Weinkultur. Die ersten Weine machten die Minoer vor 6000 Jahren auf Kreta. Die früheste Hochkultur Europas kannte Nutztiere, Siedlungen, Fernhandel und Landwirtschaft. Ihre Schrift hatte ein Wortzeichen für Wein. Die Minoer lebten in Steinbauten mit Toilette und Abwassersystem, hatten Haushaltsgegenstände, trugen Perlenschmuck und stylten ihr Zuhause mit Statuen und Wandgemälden. Nur zum Vergleich: Zur selben Zeit in Mitteleuropa kratzten die Vorfahren von Wolfgang Schäuble und Jean-Claude Juncker Tierzeichnungen in Höhlenwände und ihre Haushaltspolitik konzentrierte sich auf das Horten von Haselnüssen.
Die griechischen Stadtstaaten schufen den kulturellen Überbau zur Weinkultur. Dionysos, der Gott des Weins, wurde zu einer zentralen religiösen Figur, die zugehörigen Anbetungsriten waren durchweg angenehme Veranstaltungen. Auf Symposien vertrieb sich die Oberschicht die Zeit mit Weintrinken und Diskussionen über Philosophie.
Dionysien waren große Festivals mit Prozessionen und Aufführungen. Einige der bekanntesten Stoffe der Weltliteratur wie „Antigone“ und „Medea“ hatten hier ihre Uraufführung. Mit einem Oktoberfest wurde die Weinlese gefeiert. In den rustikaleren Varianten gab es auch schon mal ein Wetttrinken. Wein war sowohl Kultgegenstand als auch Alltagskultur.
Die Trink- und Partykultur der Griechen kam auch bei den mediterranen Nachbarn gut an. Das umso mehr, als die Griechen sich weit über das Mittelmeer nach Süditalien, Sizilien und Südfrankreich ausbreiteten, wo sie ihr Weinwissen mit jeder anderen Kultur teilten, auf die sie trafen. Rückschauend war der freigebige Technologie-Transfer vielleicht der erste Schritt in die Bedeutungslosigkeit. Vor allem die Römer sogen das Knowhow begierig auf und bauten überall in ihrem Riesenreich eigene Weine an. Griechenland geriet geopolitisch ins Abseits, auch wenn griechische Weine noch längere Zeit als Premiumweine galten.
Dionysos’ Tod und eine späte Renaissance
Mit der Christianisierung einige Zeit später wurde der Dionysos-Glaube mit einem Mal illegalisiert und damit eine ganze Kultur zerstört. Selbst das griechische Wort Staphylia für Trauben bezieht sich auf Staphylos den Sohn Dionysos’. Die islamisch geprägten Türken eroberten schließlich Hellas im 15. Jahrhundert und unterdrückten den Weinbau gleich mit. Mit der Reblausplage verschwanden einige autochthone Rebsorten ganz. Während der Besetzung im II. Weltkrieg requirierten die Nazis fast die gesamte Produktion. Griechenland zahlte von allen besetzten Ländern die höchsten Besatzungskosten pro Kopf. Der darauf folgende Bürgerkrieg und die Militärdiktatur ließen bestenfalls Massenweine aus Genossenschaften zu.
Mit dem EU-Beitritt 1974 begann die Renaissance. Ein Weingesetz nach französischem Vorbild schützte viele Herkünfte. Die Einteilungen sind etwa analog zu den Kategorien Tafelwein, Landwein und Weine aus einem kontrollierten Anbaugebiet wie AOC. Etiketten in lateinischer Schrift erleichterten den Export. Später kam eine Kategorie für Rebsorten-Weine ohne bestimmte Herkunft hinzu. EU-Fördermittel ebneten dem technischen Fortschritt den Weg. Hygienisches Arbeiten mit Stahltanks wurde in den achtziger Jahren für die überalterte griechische Weinwirtschaft zu einem Quantensprung.
In einem Rodungsprogramm wurden weniger gute Rebsorten durch hochwertige Klone besserer Rebsorten ersetzt und kühlere Lagen erschlossen. Stilistisch wandten sich immer mehr private Winzer, die nicht selten an den großen internationalen Weinbauschulen ausgebildet waren, von den traditionellen Süßweinen zu trockenen Tropfen. In den kleinteiligen Lagen wird Vieles in Handarbeit gemacht. 180.000 Weinbauern bewirtschaften im Durchschnitt nur wenig mehr als einen halben Hektar. Immerhin 900 Betriebe füllen selbst ab, viele produzieren biologisch.
120 Herkunftsbezeichnungen zählt Griechenland. Zu den wichtigsten Anbauregionen gehören Makedonien im Norden, der bergige, karge Peloponnes, Attika und Kreta mit seinem perfekten Weinbauklima. Von den kontrollierten Herkunftsbezeichnungen sind einige Namen international geläufig. Weißweine aus Patras, Santorini und Mantinia sind renommiert und die Süßen aus Samos. Nemea ist berühmt für seinen saftigen roten Agiorgitiko, Naoussa für alterungsfähigen Xinomavro und wieder Patras für die Süßweine aus Mavrodaphne.
Insgesamt sind das nicht allzu viele. Was die Markenbildung angeht, wären die Voraussetzungen hervorragend. Fast jede Region sieht auf Wurzeln in der Hochantike zurück. In Thrakien zum Beispiel ließ Homer Odysseus landen. Er bekam dort „feurigen, roten Wein“, mit dem er einen menschenfressenden Zyklopen besiegte. Eigentlich eine Marketing-Geschichte wie man sie sich nur wünschen kann, an die man zum Beispiel mit dem dicht-roten Mavroudi anschließen könnte. Thrakien aber ist heute ein „vergessenes Land“ wie die Thraker selbst sagen, mit schlechtem Zugang zum Binnenmarkt.
Das Potenzial des Weinlands ist damit bei weitem nicht ausgeschöpft. Auf Santorini kann man das wie unter einem Brennglas beobachten, nicht nur weil die Sonne über dem Mini-Archipel im südlichen Mittelmeer üppig scheint. Viele der vulkanischen Böden sind von mineralstoffreichem Bimsstein überzogen, in den knorrige Assyrtiko-Stöcke ihre Wurzeln bohren, um das Wasser aus dem porösen Gestein zu saugen und der Hitze zu trotzen. Hier ist es so trocken, dass es die Reblaus nie geschafft hat. Manche Weinlagen sind mehrere tausend Jahre alt. Niedrige Einzelstöcke erbringen sehr geringe Erträge und enorm mineralische Weißweine.
Genießer assoziieren quasi augenblicklich riesenhafte Meeresfrüchteplatten, und griechische Önologen sprechen angesichts der enorm straffen Säure und dem heißen Klima gern vom Santorini-Paradoxon. Noch dazu sind die Tropfen langlebig. Einige Winzer testen Lagenweine, wollen die Weine zur Speerspitze des neuen griechischen Weins machen.
Jeden Tag kommen viele tausend Touristen, manchmal mehrere Kreuzfahrtschiffe gleichzeitig auf den 17 Kilometer langen Halbmond. Sie besuchen das traumhaft schöne Städtchen Oia, wo es den schönsten Sonnenuntergang des Landes zu bestaunen gibt. Bei einer Rundfahrt über die karge Insellandschaft kommen sie an blitzblanken weißen Häuschen mit Tonnendächern und blauen Fensterläden vorbei, immer in Sichtweite des tiefblauen Mittelmeers. Fast jedes ein Postkartenmotiv. Wegen der Weine kommen zu wenige der Besucher.
Rebsorten wie Sand in der Wüste
Aber Santorini ist überall, jedenfalls für die Winzer. Griechenland hat mit rund 200 einheimischen Rebsorten einen der größten Genpools auf der Welt. Wer sie zählen will, könne gleich „die Sandkörner in der libyschen Wüste zählen“, stöhnte der römische Dichter Vergil schon vor 2000 Jahren. Qualitativ oder reinsortig von Bedeutung bis jetzt nur wenige. Trotzdem sind neun von zehn griechischen Weinen der rund drei 300 Millionen Liter Jahresproduktion aus autochthonen Trauben.
Da es – noch – keine wirklich einflussreichen Regionen und Verbände gibt, waren und sind es oft einzelne Weingüter, die sich mit neuen Ideen profilieren. Achaia Clauss und Tsantali waren schon in den achtziger Jahren bekannte Namen. Die ersten erfolge brachten oft Cuvées mit internationalen Sorten. Heute stehen einheimische Rebsortenweine im Fokus der eigenen Identität – mit den üblichen Reibungspunkten.
Manche Winzer stören sich daran, dass es keine Klassifikation nach dem Vorbild der Grands Crus gibt, um Spitzenweine abzusetzen. Andere verzichten ganz auf das Herkunftssiegel, weil sie sich dem Rebsorten-Reglement nicht unterwerfen wollen. Apropos Reglement, einen Winzerverband gibt es nicht. Und auf Nachfrage sind sich die meisten Winzer einig, dass sich Griechen nun mal nicht so einfach regulieren lassen. Eine Mentalität, die wohl früher oder später auf den Prüfstand kommt. Dem gegenüber steht eine liebenswerte Bescheidenheit, die sich in feinen, nie aufdringlichen Geschmacksprofilen widerspiegelt.
Mit seltenen Schätzen zu neuen Ufern
Mindestens ebenso kompliziert wie das Rebsortengeflecht sind die Produktionsbedingungen. Die Langsamkeit der Bürokratie ist berüchtigt, Beamtenkorruption immer wieder ein Thema. Vom Staat dürfen die Winzer nicht allzu viel erwarten. Angesichts der politischen Rahmenbedingungen bei den Erfindern der Demokratie hätte der gute Zeus wohl die Hand am Blitzbündel.
Mehr als ein Störfeuer sind auch die Sparmaßnahmen der EU. Mit der Steuerlast steigen die Betriebsausgaben. Die Umsatzsteuer entrichten kleine Winzer vorab für den nächsten Jahrgang, was bedeutet, dass man dem Staat ordentlich Geld vorschießt. Nur drei Prozent der Betriebe sind größer als zehn Hektar. Nicht zuletzt die Konsumenten haben immer weniger Geld für Genussmittel. „Die Regierung muss weg.“ Solche Sätze hört man von vielen Winzern und sie könnten wohl auch sagen „Die Politik muss weg“. Zu tief sitzt das Misstrauen gegen Politiker aller Couleur.
Exporte wären das Gebot der Stunde für die Griechen. Auf internationalen Verkostungen kassieren griechische Weine regelmäßig hohe Auszeichnungen. In den USA und Kanada ist man auch sehr aktiv, weil das Preisniveau lohnt. Auch Japan und Korea sind im Fokus. Trotzdem ist noch Luft nach oben.
Der klassische Exportmarkt ist Deutschland, wohin vierzig Prozent der Ausfuhren fließen. Aber hier ist nicht nur das Verhältnis zur Politik zwiespältig. Dank der vielen Einwanderer ist griechische Küche bestens etabliert – nur meist im preiswerten Segment. Wo zigtausende italienische Gastronomen leichtes Spiel haben, den Gästen ihren Wein schmackhaft zu machen, tun sich griechische Gastronomen schwer. Die exportierten Mengen steigen, nicht aber die Preise.
Viele Winzer klagen über dauernden Preisdruck der Deutschen. „Der Einzige, der in Deutschland mit griechischem Wein je Geld verdient hat, ist Udo Jürgens.“ Den Spruch kolportiert jeder griechische Importeur mit gequältem Lächeln. Immerhin, es gibt immer mehr griechische Gourmet-Restaurants zwischen Würselen und der Uckermark. Mit etwas Glück probiert man dort einen eleganten Retsina, der mit einer frischen Säure und feiner Aromatisierung einen delikaten Aperitif abgibt.
Konstantinos Lazarakis, MW und Fachmann für die Weine seiner Heimat, sieht aber noch einen Hoffnungsschimmer für seine Landsleute: „Griechischer Wein ist selten. Außerdem trinken die Griechen das meiste selbst, für den Export sind die Mengen begrenzt. Viele internationale Spitzenweine sind besser verfügbar als die meisten griechischen Top-Crus. Und Rares steigert ja bekanntlich die Nachfrage.“ Das nächste Jahrzehnt wird es zeigen.