Family business im großen Stil – italienische Weinfamilien
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Family business im großen Stil – italienische Weinfamilien
Italien erzeugt jedes Jahr über fünf Milliarden Liter Wein. Eine Riesenindustrie. Trotzdem sind in der Branche Familienunternehmen erfolgreich, die seit Generationen ihre Weingüter bewirtschaften. Sie haben in der Vergangenheit nicht nur den Weinbau, sondern auch die Kultur des Landes geprägt. Viele von ihnen setzen bis heute Maßstäbe.
„Ich produziere keine Rebsorten, sondern Terroir.“ Den Satz hat man in der Branche mindestens tausend mal gehört, allerdings nicht vor so einer Kulisse. Gorgona ist eine winzige Vulkaninsel vor der toskanischen Küste mit nicht viel mehr als einem Hektar Anbaufläche und einem Gefängnis. Auf den ersten Blick hat die Felseninsel alles, was man sich unter einer Filmkulisse vorstellt. Die Gefangenen marschieren bei brütender Hitze in den Weinberg. Wächter mit Sonnenbrillen patrouillieren in Land Rovern das Areal. „Seit Januar gab es hier keinen Regen“, sagt Lamberto Frescobaldi, „dafür hörst du die Möwen den ganzen Tag. Und sonst nichts.“
Natürlich ist Lamberto hier nicht als Insasse, sondern als Mäzen eines Resozialisierungs-Projekts. Sciargui, ein ausgesuchter Häftling, den man interviewen darf, erklärt, dass es vor allem Frescobaldis Vertrauen sei, dem er sich verpflichtet fühlt. „Und meine Kinder können sagen, ich arbeite für Frescobaldi.“ Das klingt nicht schlecht in der Branche. Dazu gibt’s 1500 Euro Monatslohn und eine sehr niedrige Rückfallquote.
So langsam wird klar, dass die ganzen guten Worte keine Sonntagsreden für einen schnell wirksamen PR-Coup waren. Das Projekt läuft seit sechs Jahren. Inzwischen hat er ein zweites in Norditalien. „Das stockt gerade etwas.“ Aber Lamberto ist schon mit dem Motorrad durch die Sahara gefahren. Ausdauer hat er.
Die große Kunst der Kapitalanlage
Viele große Weinmarken, vor allem in Europa, sind aus bäuerlichen Familienbetrieben entstanden – und längst Teil von Getränkemultis und anderen Großunternehmen. So manche Marke ist aber noch immer Privateigentum. In Italien ist das besonders deutlich. Die Dynastien sind hier für Qualitätszuwächse verantwortlich und haben ganze Regionen geprägt.
Wie tief die Clans in Geschichte und Gesellschaft verwurzelt sind, zeigt ein Blick auf Lambertos Familiengeschichte. Die beginnt im 11. Jahrhundert auf der Tenuta di Castiglioni. Seine Vorfahren machten in Florenz außerdem gute Geschäfte als Bankiers. Bargeldloser Warenverkehr war in Zeiten von Wegelagerern und politisch unsicheren Territorien ein enormer Sicherheitsgewinn und verbesserte die Rahmenbedingungen für den erfolgreichen Freihandel entscheidend. Zeittypisch umgaben sich die Frescobaldis mit der ersten Garde der Kultur-Prominenz von Dante Alighieri bis Giovanni Boccaccio, insbesondere aber dem Universalgenie Michelangelo Buonarroti.
Mit ihrem Wissenschafts- und Kultur-Sponsoring begleiteten, ja prägten die Frescobaldis den Umbruch vom wissenschaftsfeindlichen Mittelalter zur Renaissance, in der der Mensch durch freies Denken Erfolg und Fortschritt schafft. Ohne die Frescobaldis wäre die weltberühmte David-Statue wohl bis heute ein unbehauener Marmorblock. Die Unternehmerfamilie stieg früh in den Qualitäts-Weinbau mit hohem Exportanteil ein. Auf der Kundenliste standen politische Schwergewichte von Heinrich VII., dem Urvater der Tudors, bis zu der Florentinerin Katharina di Medici, die als Königin von Frankreich ihren Untertanen die feine Küche beibrachte.
„Die Wirtschaftsform der mezzadria garantierte Kleinbauern die Hälfte ihrer Erntemengen“, erklärt Priscilla Incisa Della Rocchetta das System. Mit der Halbpacht war deren Existenz gesichert, während die Landbesitzer große Überschüsse und immer bessere Weine machten.
Im Jahr 1716 wurde zum ersten Mal auf der Welt ein Anbaugebiet eingegrenzt, das Chianti. Initiator war der ein gewisser Cosimo III. di Medici, der mit dem Kernland des Chianti auch gleich die eigenen Weinberge vor Plagiatoren schützte. Die Konzentration von unternehmerischem Kapital der Kaufmannsfamilien blieb nicht ohne Einfluss auf die Weinqualität. Früh engagierten die Grundbesitzer die besten Fachleute für den An- und Ausbau, die ein immer klareres Geschmacksprofil entwickelten. Chianti wurde zum Flaggschiff des italienischen Weinstils.
Mit Hi-Tec zum Super Tuscan
Auf den steinigen Böden von Bolgheri gedieh der Sangiovese dagegen nicht besonders. Die Region hatte wenig Renommee. „Cabernet war zu der Zeit populär, weil französische Weine einen besseren Ruf hatten“, erklärt Priscilla Incisa della Rocchetta, die heute das Unternehmen mit leitet. Ob es reine Experimentierfreude war oder die Verknappung französischer Weine durch den II. Weltkrieg, die den Marchese Mario Incisa della Rocchetta dazu brachten 1944 Cabernet Sauvignon zu pflanzen, ist nicht mehr ganz sicher zu sagen. Das Pflanzmaterial seines Freundes Baron de Rothschild lieferte jedoch einen hervorragenden Wein, obwohl die Sorte nicht den Anbauvorschriften entsprach. Unter anderem Neffe Piero Antinori drängte seinen Onkel, damit auf den Markt zu gehen.
Mit dem Jahrgang 1968 tauchte dann der erste Sassicaia, wegen der unzulässigen Sorten als simpler „vino da tavola“, auf dem Markt auf. Die internationale Kritik jubelte, einheimische Weinbaufunktionäre jedoch waren düpiert. „In der Zeit wurden italienische Weine überhaupt erst wichtig“, fasst es Priscilla Incisa Della Rocchetta heute zusammen. Denn auch die Kollegen erkannten die Chance.
Antinori selbst kreierte mit dem kongenialen Önologen Giacomo Tachis einen Wein aus Sangiovese, Cabernet Sauvignon und Cabernet Franc in französischen Barriques. Spätestens der Tafelwein Tignanello war die Geburtsstunde der „Super Tuscans“. Die Tropfen aus internationalen Sorten wurden mit viel Weinbergarbeit, noch mehr Technik und minimalen Erträgen gemacht. Weine mit solcher Konzentration waren ein Novum. Die etwas vergessene Toskana konnte plötzlich Weine von internationalem Format, und vor allem nach dem Geschmack von Michel Rolland und Robert Parker.
Wenige Weine haben die jüngere Weinwelt so beeinflusst wie Tignanello und Sassicaia. In die Toskana strömte mal wieder das große Geld. Berühmtheiten von Angelo Gaja bis Banfi und so einige ausländische Finanzjongleure investierten in Bolgheri. Bald wurden dreistellige Flaschenpreise aufgerufen. Nicht wenige der Risikoanleger hatten sich jedoch verzockt. Ihre Flaschen blieben im Regal, und die überteuerten Kreditkäufe rächten sich. Rocchetta gehört noch immer der Familie, inklusive 250 Hektar Land mit Wald und naturbelassenen Flächen, auf denen Zugvögel sich erholen. „Und das“, sagt Priscilla Incisa della Rocchetta, „bleibt auch so“.
Prickelnde Breitenwirkung
Die Rebsorten-Diskussion sprang bald auf andere Regionen über. Im Piemont setzte Angelo Gaja, dessen Familie seit über 300 Jahren im Barbaresco Wein anbaute, früh auf Cabernet Sauvignon, Chardonnay und Sauvignon Blanc. Durch Schritte wie kontrollierte Gärung, Barriques und Lagenweine avancierte er zum Spitzenhersteller mit ebensolchen Preisen.
Der Avantgardist forderte sogar, Reglements zu ändern, um die sortenreinen Nebbiolos zu ersetzen, ähnlich in Montalcino, wo er investiert hatte. Damit stieß er auf geteiltes Echo. Seine Weine aus internationalen Sorten aber erregten Aufmerksamkeit, die autochthone Sorten zu der Zeit kaum bekommen hätten. Erst seit viele Weintrinker sich von den weltweiten Sorten gelangweilt fühlen, betonen die Winzer ihre lokalen Rebsorten.
Einen unvorhersehbaren Trend löste rückschauend auch Antonio Carpenè aus. Der renommierte Chemiker, bekannt mit Robert Koch und Louis Pasteur, produzierte im 19. Jahrhundert als erster Schaumweine im Charmat-Verfahren und erfand so den Prosecco. Der Wissenschaftler stieß sogar 1868 die Gründung des ersten Weinbau-Forschungsinstitutes in Conegliano an. Seine Söhne wiederum mitbegründeten 1962 die "Genossenschaft zum Schutz des Prosecco di Conegliano-Valdobbiadene". 2016 wurden weltweit 400 Millionen Liter Prosecco getrunken, von denen das Weingut Carpenè Malvolti einige der besten macht.
Mit der aufwändigen Sektproduktion reüssierte auch die Familie Lunelli. Die Inhaber der Kellerei Ferrari nahmen sich große internationale Vorbilder und produzierten reine, alterungsfähige Chardonnays. „Trotzdem haben die Weine viel frische Frucht statt Brot- und Pâtisserie-Aromen“, erklärt Camilla Lunelli das Konzept. In den Kellern reifen zwanzig Millionen Flaschen. Auf Verkostungen älterer Ferrari-Jahrgänge beobachtet man üblicherweise strenge Verkostergesichter, die in Verzückung geraten über die Delikatesse von Weinen aus den neunziger Jahren. Ferrari ist ein weltweiter Standard für Weine des Stils.
Piero Mastroberardini machte 2015 durch einen Weingarten in Pompei von sich Reden. Den fruchtbaren Vulkanboden bepflanzte er nach antikem Vorbild mit regionalen Rebsorten. Viel näher konnte man nicht an an den Charakter eines Weins in der Antike kommen. „Damit“, sagt Mastroberardini, „wollen wir die Wertschätzung unserer Heimaterde und historischer Reben fördern, wie es schon mein Vater getan hat.“ Lokalen Sorten wie Aglianico im Taurasi und Fiano verhalf Mastroberardini zu DOCG-Status. Mehrere hundert Hektar in historischen Lagen gehören heute zum Betrieb.
Der Süden Italiens hat es wirtschaftlich schwerer als der Norden. Das gilt auch beim Wein und für Sizilien einmal mehr. „Bis weit in die achtziger wurde aus schlechtem Trebbiano und Nero d'Avola schlechter Wein gemacht“, erinnert sich Alessio Planeta, „als mein Vater die Produzentenvereinigung Settesoli gründete, war sizilianischer Wein farb- und alkohoholstarke Fassware“. „Und wurde namenlos zur Terra firma verschifft“, ergänzt Antonio Rallo, Inhaber von Donnafugata.
Anders als in der Toskana gibt es auf Sizilien nicht viele große Besitzungen. In den Familien fehlt oft das Geld für Investitionen. Die eigentliche Initialzündung der Insel fällt deshalb ins späte 20. Jahrhundert. „Da ging es hier los“, sagt Alessio Planeta. „Chardonnay, Sauvignon und Cabernet haben uns international bekannt gemacht.“ Wie die meisten seiner Kollegen hatte er die Weinproduktion im Ausland gesehen: Bourgogne oder Kalifornien, irgendwo hatte jeder sein Schlüsselerlebnis. „Reduktiver Chardonnay im Barrique wie in Australien - das funktionierte auch für uns.“ Sizilien wurde bekannt.
Mit dem Prestige-Vorschuss begannen sich die Winzer wieder auf das wahre potenzial ihrer Regionen zu konzentrieren. „Pantelleria, die Insel vor der afrikanischen Küste, zog mich an wie ein Magnet“, erinnert sich Antonio Rallo, „war aber sehr unbequem“. In unendlich harter Arbeit wurden zwei Kilometer Trockenmauern für den Terrassenanbau wieder aufgebaut und aus der Vulkaninsel und ihrem Süßwein Ben Ryé ein Juwel geschliffen. Nach einem Brand werden derzeit endemische Pflanzen wieder aufgeforstet. Alles in allem mehr Landschaftsschutz als Agrarwirtschaft.
Der Ätna gilt in Sachen Regionalität und Terroir heute als Leuchtturm. Hier machen Individualisten die erstaunlichsten Weine. Frühe Vögel an den Lavahängen waren aber meist große Familien. Vittorio, Noto, Mamertino, die Granden suchen immer neue Felder. „Im Moment ist Nocera aus Marsala interessant“, schwärmt Alessio Planeta. „Das ist zurzeit unser Labor.“ Langsam scheint der wahre Reichtum Siziliens auf. Nero d'Avola, Grillo, Nerello Mascalese, Nerello Cappuccio sind heute international geschätzte Sorten. Gerade wegen ihrer Regionalität.
Den elterlichen Betrieb verstehen zwar die meisten noch als ihre DNA. Doch aus den Weinbauern sind Unternehmer geworden mit vielen hundert Hektar Anbaufläche. Kooperationen mit Universitäten, die historische Sorten und Terroirs systematisch erforschen, haben dabei geholfen. Auf der Insel gibt es Dutzende Versuchsanpflanzungen einheimischer Reben. Sizilien hat sonnige Zukunftsaussichten.
Lieber Narzissten als shareholder
Familien spielen in fast allen klassischen Weinländern eine Hauptrolle. In Italien geht ihr Einfluss aber oft weiter. „Sie prägen tatsächlich ganze Landstriche“, sagt Priscilla Incisa Della Rocchetta. Noch dazu existieren manche Unternehmen jahrhundertelang erfolgreich. Woran liegt das? „Vielleicht weil die Namen so leicht über die Lippen kommen: Gaja, Antinori, Planeta, das kann jeder gut aussprechen.“ Verglichen mit „Krk“ oder „Bacharacher Wolfshöhle“ leuchtet das ein, ist aber wohl nicht die ganze Wahrheit.
„Regeln und Passion“, versucht sich Alberto Tasca d’Almerita an einer wohligen Analyse. Der Erbe in achter Generation kommt dann aber gleich zur Sache: „Die meisten scheitern an neuen Mitgliedern.“ Zu viel modernes Unternehmerdenken sei nämlich auf die Dauer Mist. „Da ist der patriarchalische Narzissmus der Alten immer noch besser.“ Noch schlimmer seien zu viele Mitglieder, sagt Alberto und zeigt ein Familienfoto mit etwa vierzig Personen. „Das heißt noch mehr Narzissten. Da ist es besser, wenn einer das Sagen hat.“
Es gibt aber weitere Vorteile: „Als Familie kann ich langfristige Entscheidungen treffen, ohne meine Anteilseigner zu fragen“, erklärt Antonio Rallo, „was habe ich von ‚shareholder value’ auf lange Sicht?“ Nachhaltigkeit kann jedenfalls ein Schlüssel sein. „Wir besitzen unser Land“, bestätigt Albiera Antinori, CEO des Familienunternehmens, „und verbessern ständig die Qualität. Das ist entscheidend.“
Lamberto Frescobaldi, dessen Tenuta di Castiglioni auch in der 30. Generation noch der Familie gehört, findet noch eine ganz schlüssige Erklärung: „Wenn sich Manager eines Unternehmens streiten, suchen sie sich einen anderen Job und sehen sich nie wieder. Wenn sich Familien streiten, ist das Unternehmen weg. Aber die Familie ist noch da.“