Das Wallis mit der größten Anbaufläche und Bandbreite an Rebsorten zeigt wie keine andere Region Möglichkeiten und Risiken des alpinen Weinbaus. Die meisten Weingärten liegen an Hängen zwischen 400 und 800 Meter hoch am Oberlauf der Rhône. Die Lagen sind bis zu 70 Prozent steil, oft auch terassiert. Aufgrund der tektonischen Aktivität müssen die Walliser alle 60 bis 100 Jahre mit einem mittelschweren Erdbeben rechnen. Das letzte Mal bebte die Erde 1946.
Weinberge können fast nur von Hand bearbeitet werden. Das macht es doppelt schwer in einem Hochlohnland, und man merkt es an den Preisen jeder x-beliebigen Weinhandlung. Für Ausländer sind sie astronomisch. Der durchschnittliche Flaschenpreis liegt bei sieben Euro, in Deutschland sind es gerade etwas über zwei. Wein gibt es im Wallis, wie so oft in Europa, seit der Antike. Schon die Kelten ließen sich 700 vor Christus Wein schmecken, den sie wahrscheinlich selbst machten. Doch Importweine aus Erzeugerländern in Südeuropa waren wohl die bequemere Alternative. Das ist heute ähnlich.
Italien, Frankreich und Spanien dominieren den Importmarkt.
Viele der einheimischen Rebsorten wachsen schon seit der Römerzeit hier.
Petite Arvine ist eine davon. Nach etwa drei Jahren Lagerzeit entwickelt die weiße Sorte die delikatesten Noten von Bienenwachs und Blüten, Grapefruit und Limone und eine typisch salzige Note im Abgang. Botrytis-Versionen duften nach Trüffel und Safran. Trotz mittlerer Werte ist die Säure fein, das Mundgefühl cremig. Die Weine sind hochelegant und altern mehrere Jahrzehnte. Allerdings kann sich auch die Sollseite sehen lassen. Die Sorte stellt so ziemlich jeden Anspruch, den eine Rebe in Weinberg stellen kann: nur allerbeste windgeschützte, sonnige Standorte, gute Bewässerung, magere Böden, früher Austrieb, späte Ernte und damit ein deutlich erhöhtes Ernterisiko bei dem üblicherweise unsicheren Wetterverlauf, dazu noch allergisch gegen Herbizide.
Als man sich nach 1945 wie in ganz Mitteleuropa auf Massenerträge konzentrierte, rottete der Massenträger Chasselas die Sorte fast aus. Bis heute haben sich die Bestände dank Winzern, die die neutralen Tröpfchen einfach satt hatten, von 14 Hektar auf 166 Hektar erholt. Immer noch mikroskopisch, aber in der Schweiz schon ordentlich. Nicht weniger rar ist die
Humagne Blanche, die schon Anfang des 14. Jahrhunderts in ersten Urkunden auftaucht. Krankheitsanfällig, ertragsschwach und schwankend in der Erntemenge ist sie ebenso wenig ein Winzertraum. Die Weine können wunderschön nach Feuerstein und Pinienzapfen schmecken, außerdem nach Blaubeeren, Veilchen und Pflaumen. Wegen ihres hohen Eisengehalts tranken früher Wöchnerinnen den „vinum humanum“ gegen den Blutverlust. Die Wirkung ist heute unwahrscheinlich. Aber seine weich-fruchtige Art kam offensichtlich an.
Nicht zuletzt ist Weißer Heunisch, der genetische Vater vieler Sorten, in der Schweiz anzutreffen. Er wird Deutsch Gwäss, Französisch Gouais genannt, was beides lautmalerisch als Ausdruck des Ekels zu verstehen ist. Die Sorte erbringt so gruselige Weine, dass der Anbau in Frankreich mitunter verboten ist. „Dabei ist er der Casanova der Reben“, erklärt Vouillamoz, der die genetischen Zusammenhänge entschlüsselt hat. „Kaum eine Rebsorte hat so oft ihre Gene an natürliche Kreuzungen weitergegeben“. Weiter unten im Stammbaum stehen unter anderem Gamay, Chardonnay, Riesling.