Lange wurde der Erfolg der deutschen Weine praktisch mit Riesling gleichgesetzt. Deutschland hat aber auch andere Stärken. Manche werden gerade erst entdeckt. Nie vorher gab es so viele Betriebsübernahmen von so gut ausgebildeten jungen Winzern. Sogar der Klimawandel scheint mitzuspielen. Aber welche Perspektiven hat das Weinland?
Auf der kleinen Lore liegt man völlig waagerecht, wenn sie los rumpelt. Das wäre eigentlich schon schräg genug, um einen Weinberg zu besteigen. Aber ein paar Sekunden später geht es in der Holzkarre senkrecht nach oben wie im Aufzug. Nur ohne Kabine. Das „Gut festhalten“ hätte sich Winzer Kilian Franzen sparen können. Ein Blick den fast senkrechten Hang hinunter reicht völlig. Zwischen dem kleinen Monorail-Schlitten und der Mosel 200 Meter tiefer ist nichts als steiniger Schieferboden und ein paar knöcherne Riesling-Stöcke. Der Calmond im Moseldörfchen Bremm kann sich steilster Weinberg Europas nennen.
Deutscher Wein ist alles andere als langweilig. Das gilt auch für die Qualität. Waren es lange nur die spät gelesenen Süßweine, die in London und New York zu Höchstpreisen gehandelt wurden, vergeben die maßgeblichen Führer jetzt hundert Punkte auch für trockene Tropfen, die wichtigster Imageträger und Wirtschaftsfaktor sind.
„Der Sommer war sehr groß.“ Herbsttag von Rainer Maria Rilke
„Noch bis zur Jahrtausendwende reiften sechs oder sieben Ernten im Jahrzehnt nicht aus“, erinnert sich Werner Näkel, der die Bourgogne schon in den achtziger Jahren als Vorblid für seine Ahrweine entdeckte. Heute sind zu niedrige Zuckerwerte seltener ein Problem als zu hohe Alkoholgehalte in den leichten Weißweinen. 2017 wurde in Rheinland-Pfalz sogar aufgesäuert. Steillagen an den Flussufern trifft das besonders, dafür legen Lagen im Hinterland zu.
Immer komplizierter werden die Wachstumsphasen. Früher Austrieb und später Frost, erwischen besonders junge Anlagen buchstäblich kalt. Im Sommer heiß und starke Niederschläge, immer öfter Hagel, Pilzbefall, dann Trockenheit, frühe Ernte bei hohen Temperaturen, unter denen sich Botrytis rasant ausbreiten kann. So oder so ähnlich lesen sich viele Leseberichte.
Während des ganzen Jahres müssen die Winzer schnell auf veränderte Bedingungen reagieren - präzise Vorhersagemodelle wären da hochwillkommen. Hinzu kommen Extremwetterereignisse: der stärkste Frost seit über 50 Jahren 2017 in Baden, der kälteste seit Menschengedenken im April an der Ahr mit bis zu 80 Prozent Ausfall, die früheste Moselernte aller Zeiten.
Mit Urteilsvermögen und Übersicht können die Winzer meist noch gute bis sehr gute Ergebnisse erzielen. Das bedeutet aber nicht Entwarnung. Wirtschaftlich sind die Mengenschwankungen heikel. Allein 2017 verzeichneten alle großen Anbaugebiete Erntemengen von 15 bis 20 Prozent unter dem langjährigen Mittel. Produzenten einfacher bis mittlerer Qualitäten können die Ertragseinbußen nicht durch Preiserhöhungen ausgleichen und auf Dauer nicht ohne bestimmte Mindestmengen leben.
Auch stilistisch könnte sich einiges verschieben. Im Rheingau treibt der Riesling derzeit durchschnittlich zehn Tage früher aus und wird 25 Tage früher gelesen als vor 60 Jahren. Die Vegetationsperiode wird also kürzer und die Nächte wärmer. Besonders für die Riesling-Stilistik gilt aber eine lange Reifephase mit kalten Nächten als ideal.
Für den imageträchtigen Eiswein könnte es richtig brenzlig werden. Immer seltener sinkt das Thermometer unter minus sieben Grad Celsius. 2017 meldeten gerade mal 24 Betriebe in Rheinland-Pfalz Eiswein auf 19 Hektar an. Im Vorjahr waren es 167 Hektar. Bei der frühen Ernte und dem späteren Winterbeginn wird die Wartezeit dazu immer länger, die Erträge geringer und das Risiko größer. Die Trauben frieren erst später oder gar nicht.
Versuchsreihen in Geisenheim legen zwar nah, dass die Veränderungen mit der richtigen Feldarbeit beherrschbar sind. Gewagte Modelle sehen Deutschland 2040 aber in weiten Teilen mit Merlot und Ugni blanc bestockt. Heutige Massenträger wie Müller-Thurgau wurzeln dann an den Alpenhängen.
Einstweilen bleibt Deutschland für den Weinbau eher kühl. Bis Ende des 20. Jahrhunderts wurden manche Lagen immer chaptalisiert. Das Gesetz legte deshalb die Traubenreife als oberstes Qualitätskriterium fest - und wurde rückschauend zu einem der größten Probleme des Qualitätsweins. Wein ist nicht gut, nur weil er süß ist.
Mit der Novelle von 1971 wurden die teils berühmten Namen kleinerer Lagen auf sogenannte Großlagen ausgedehnt, die bis zu 1800 Hektar umfassen können. Das ist so viel wie die drei Anbaugebiete Ahr, Sachsen und Saale-Unstrut zusammen. Viele Weine auf minderwertigen Böden dürfen sich seither mit großen Namen schmücken.
Sich überlappende Prädikate, die in den einzelnen Anbaugebieten auch noch unterschiedlich definiert werden, lassen für einen durchschnittlichen Verbraucher kaum einen Schluss auf Qualität oder Geschmacksrichtung zu. In dem Land, dass der Welt die Deutsche Industrienorm geschenkt hat, gibt es beim Wein kaum verlässliche Bezeichnungen.
Vor allem auf Exportmärkten, wo Verbraucher ratlos vor den endlosen konsonantenlastigen deutschen Lagenbezeichnungen stehen, ist das ein Nachteil. Nachdem die die Branche nach 2008 die Hälfte ihres Exports verloren hatte, steigen die Ausfuhren gerade erst wieder erfreulich an. Denn der deutsche Wein wird immer besser.
Rebsorten
Die heißen Jahre nach dem Millennium zählen zu den feinsten. Immer mehr Massenträger wurden für Qualitätssorten gerodet, brach gefallene Lagen in Seitentälern wieder aufgerebt. Die Auswahl an heimischen Rebsorten ist nicht riesig, aber gut, und passt ideal zu den Trends Regionalität und Leichtigkeit.
Unangefochten ist der Riesling. Keine andere Rebsorte nimmt so sensibel die Charakteristik der Böden in Deutschland auf. Sein Ausdruck ist nirgendwo reproduzierbar. Burgundersorten erobern immer mehr Rebfläche. Weißburgunder macht den meisten Boden gut und ein leichter Barrique-Ausbau steht ihm bestens. Ähnlich gilt das für Grauburgunder. In den wärmeren Anbauregionen Pfalz und Baden entstehen feine Chardonnay-Qualitäten. Andere Regionen wie Rheinhessen und Franken ziehen mit Erfolg nach.
Vor allem dem Silvaner ist noch einiges zuzutrauen. Weniger expressiv, aber mit viel Tiefe und bestens geeignet mineralische Einflüsse auszudrücken. In seiner schlanken Art spricht Silvaner gut auf längere Maischestandzeiten und oxidative Techniken an. Silvaner-Süßweine glänzen mit besonderer Brillianz. In Bukettrebsorten wie Muskateller – in den USA und Großbritannien längst ein Trend – liegt noch ein ungenutztes Potenzial. Die Scheurebe oder Sämling 88 in Österreich bedient mit ihren Johannisbeer- und Holunderaromen perfekt Trinker, die einen unkomplizierten, aber keinen flachen Weißwein wollen. Für manche der bessere Sauvignon Blanc in Deutschland.
Der Gewürztraminer, die Rebsorte mit den konzentriertesten Blüten- und Gewürzaromen, wird leider viel zu wenig beachtet. Sauvignon Blanc hat es in Deutschland wegen seiner weltweiten Popularität nicht gerade leicht. Besonders in Baden, Rheinhessen und der Pfalz stimmt die Qualität.
Aus Riesling, aber auch aus Burgundersorten entstehen bei immer mehr ambitionierten Winzern sehr respektable Winzersekte in traditioneller Flaschengärung. Oft sind die Produzenten klein und innovativ, arbeiten mit langem Hefelager und Barriques. Deutschland ist Weltmeister im Sektkonsum. Aber auf dem Inlandsmarkt fällt es den Winzern schwer neben großen Marken Resonanz zu finden. Marktführer Rotkäppchen-Mumm feierte 2016 „das erfolgreichste Jahr der Unternehmensgeschichte“ mit einem Umsatz von 271 Millionen Flaschen. International gilt das für deutschen Sekt zwischen Prosecco und Champagner leider ähnlich. Qualität und Quantität steigen aber kontinuierlich.
Mit ihren Spätburgundern haben Winzer von der Ahr, aus Franken und Baden den Anschluss an die internationale Spitze gefunden und werden immer mehr beachtet. Vor allem für Briten und Amerikaner ist der Preisvergleich mit der Bourgogne interessant. Frühburgunder, eine Pinot Noir-Mutation, ist mit seiner Anfälligkeit und den Mini-Erträgen nicht ganz einfach, bringt aber sehr eigenständige Weine. Früher gab es sie hauptsächlich an der Ahr, heute in immer mehr Regionen.
Nach einem Boom in den neunziger Jahren hat sich Dornfelder meist auf dem Level eines guten Alltagsweins eingependelt. Lemberger, der in Österreich als Blaufränkisch eine der roten Hauptrebsorten ist, dagegen wartet noch auf den Durchbruch. Einige Toperzeuger wie das Bürgerspital oder Philipp Kuhn haben ihn aber für sich entdeckt.
Man soll die Dinge so nehmen, wie sie kommen. Aber man sollte auch dafür sorgen, dass die Dinge so kommen, wie man sie nehmen möchte. Curt Goetz
Ausgetretene Pfade sind die sichersten, aber es herrscht viel Verkehr. Jeff Taylor
Will die Vogelperspektive am Bremmer Calmond noch hart erarbeitet werden, hat man es anderswo leichter. Der Verband Deutscher Prädikats- und Qualitätsweingüter (VDP) hat 771 Lagen aller Mitglieder aus der Luft fotografiert und mit interaktiven Texten online gestellt. „Das umfangreichste Lagen-Kompendium im Netz“, nennt Präsident Steffen Christmann das stolz, oder griffiger „flüssige Geografie“. Der VDP ist unangefochten der führende Zusammenschluss von Winzern in Deutschland. Standards bei Produktion und Nachhaltigkeit sowie die Lagen-Klassifizierung nach dem Modell der Bourgogne sind ein leuchtendes Vorbild.
Doch nur rund 200 von 17.000 Winzern gehören dem Verband an. De facto sind zumindest einige absolute Spitzenbetriebe in Deutschland nicht Mitglied des VDP. Um eine Breitenwirkung zu erzielen, ist der Verband also zu exklusiv. Dabei gibt es einen höchst soliden Mittelstand, der auch preislich sehr konkurrenzfähig ist. Nach den technischen Quantensprüngen der achtziger Jahre sind diese Weingüter auf dem Stand der Technik und haben Lust auf mehr. Die jüngere Winzergeneration ist hervorragend ausgebildet. Die Weinbauschulen haben einen guten Ruf, allen voran Geisenheim. Ein Auslandspraktikum in einem klassischen europäischen Weinland und noch eins in Übersee gehören für viele dazu.
Mehr als früher arbeiten sie kleinteilige Bodenstrukturen heraus und reflektieren die Unterschiede zwischen einer Unterlage aus Vulkanstein, Kalk oder Schiefer, Mergel oder Keuper. Viele spielen souverän mit neuen Stilen. Neben den glockenklaren Rieslingen stehen Weine mit sehr dichtem Extrakt, andere mit längerem Maischekontakt, im Betonei oder im großen Holzfass ausgebaut. Für diese neue Bandbreite würden ein paar Marketing-Instrumente nicht schaden. Noch gibt es zu wenig Wettbewerbe und Auszeichnungen, die wirkungsvoll die Reichweite erhöhen. Bei den altbackenen „Kammerpreismünzen“ ziehen selbst Winzer die Brauen hoch.
Durch die historische Erbteilung sind viele Flächen stark aufgesplittert. Erst in den letzten Jahren hat die dringend notwendige Konzentration Fahrt aufgenommen. Von 2010 bis 2016 stieg die durchschnittliche Betriebsgröße von 4,8 auf 5,9 Hektar. Fast jeder dritte Betrieb mit weniger als einem Hektar ist verschwunden, dennoch stellen Kleinbauern noch ein Viertel der Gesamtbetriebszahl. Kleinsterzeuger sind oft in Genossenschaften organisiert, die aber vor allem bei den Basisqualitäten nicht alle zeitgemäße Qualitäten erreichen. Außerdem sind auch die Kooperativen zu klein und müssten weiter fusionieren. Beides wäre die Voraussetzung, um relevante Marken zu entwickeln.
Inlandsmarkt
Jeder vierte Deutsche hat 2016 gar keinen Wein getrunken. Trotzdem sind viele verrückt danach. In dem nördlichen Bundesland Niedersachsen, das vor allem für Korn und Schweinefleisch berühmt ist, ist ein kleines Anbaugebiet entstanden. Hobbywinzer gibt es in Berlin, auf Sylt oder in der Lausitz am Länderdreieck mit Polen und der Tschechischen Republik.
Ähnlich durchwachsen ist der Markt. In Deutschland halten die meisten Wein für kultivierter als Bier. Auf dem weltgrößten Weinimportmarkt liegt der Durchschnittspreis einer Flasche laut DWI bei 2,92 Euro, für einheimische Produkte etwas höher. Dafür ist der Pro-Kopf-Konsum mit etwa 24 Litern recht stabil.
Weintrinker werden aber immer älter und konsumieren weniger, vor allem die Baby Boomer werden wohl ein ziemliches Loch hinterlassen. Die Weinwirtschaft muss auf Sicht also neue Absatzwege im Inland auftun. Online bewegt sich allerdings noch nicht viel. Junge Kunden erwarten dort Sonderangebote ohne Versandkosten, die die Branche bis jetzt nicht leisten kann.
79 Prozent aller Weine werden in Deutschland im LEH gekauft. Tendenz noch immer steigend. Allein Aldi, das bei deutschen Konsumenten eine fast religiös hohe Glaubwürdigkeit genießt, hält über 40 Prozent Marktanteil. Auch VDP-Winzer verkaufen hier.
Internationale Märkte
Ein Land, das für zuverlässige Autos, Industrie-Maschinen und eine gewisse Verliebtheit in Ordnungssysteme berühmt ist, hat es nicht ganz leicht Assoziationen zu Lebensart und Genuss zu wecken. So fällt der Erfolg recht unterschiedlich aus. Eine Region wie die Mosel ist stark, andere haben wenig oder keinen Exportanteil. In den USA sind die Süßweine groß geworden, die Preise aber unter denen von Bordeaux und Bourgogne. Das weiß man zu schätzen.
England ist ein historisch wichtiger Markt, der sich gerade wieder mehr Deutschland zuwendet. Hartnäckig hält sich trotzdem das Image der Liebfraumilch. Der kürzliche Wiederbelebungsversuch der Marke stößt erst mal auf ein gemischtes Echo. Skandinavien und die Benelux-Länder gehören zur treuen Kundschaft. In Norwegen ist deutscher Wein sogar Marktführer. Mit den steigenden Qualitäten kommt Lob sogar aus Italien (Gewürztraminer) und Frankreich (Pinot Noir).
Mit 37 Prozent Zuwachs im Wert hat sich China gerade auf Platz 5 der Exportländer mit angenehmer Wertschöpfung katapultiert. Asien mit seinen Milliarden potenziellen Kunden gilt zu Recht als Zukunftsmarkt. Immerhin berichten Exporteure, dass gerade der gute Ruf von Unternehmen wie Miele und Mercedes dort auf den Wein abstrahlt.
Vielleicht ist ja gerade das der Schlüssel zum richtigen Image: solide Arbeit und klare Normen.