Das Elsass – der prickelndste Flickenteppich der Welt
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Das Elsass – der prickelndste Flickenteppich der Welt
Elsässer machen Rebsortenweine, wohnen in alten Fachwerkhäusern und krönen jedes Jahr eine Weinkönigin. So ist keine andere Region in Frankreich. Sie produzieren viel Bio-Wein, besonders gern biodynamisch. Ihre kleinteiligen Bodenformationen drücken sie mit zahlreichen Abfüllungen aus. Und es werden immer mehr.
Das Elsass ist das etwas andere Anbaugebiet in Frankreich. Mehr als jedes andere im Land ist es durch seine Rebsorten geprägt. Nur hier werden AOC-Weine als „Riesling“, „Gewürztraminer“, „Pinot Gris“ und „Muscat“ etikettiert. Jede der vier Grand Cru-Sorten mit ihrer Typizität besetzt sehr unterschiedliche Nischen.
Riesling besticht durch seine Fähigkeit, die Terroirs wiederzugeben. Nervig auf Granit, elegant-mineralisch auf Kalk, warm vibrierend auf dem Vulkangestein von Rangen und im Alter ölig. Pinot Gris entwickelt hohe Mostgewichte, die gut für üppige Weine und besonders Vendange Tardive sind. Stilistisch schwenken viele Winzer mit Seitenblick auf die Bourgogne um. Vor allem auf kalkhaltigen Böden wachsen komplexe, aber nicht zu schwere Pinot Gris.
Muscat und Gewürztraminer gelten genetisch als autochthone Sorten aus dem Weinbau-Bassin des Elsass. Nicht ganz trocken ausgebaut entwickelt der Gewürztraminer seine Aromatik mit viel Bouquet und Glyzerin am intensivsten. Muscat dagegen ist stets durchgegoren, würzig-fruchtig und hat wenig Alkohol, was ihn für den Aperitif prädestiniert. Etwa ein Dutzend Rebsorten sind im Elsass zugelassen. Davon wird Pinot Blanc, oft mit Auxerrois verschnitten, etwas unterbewertet, kann aber recht elegante Weine liefern, auch im Crémant.
Ähnlich gilt das für Sylvaner, der hier gut ausreift, ohne zu viel Zucker einzulagern. 27 Prozent der Gesamtproduktion ist Crémant. Der Méthode traditionelle-Schaumwein ist zwar als Cash cow beliebt, aber eher unkompliziert fruchtiger Natur. Deshalb sehen ihn manche ambitionierte Winzer mit gemischten Gefühlen. In Deutschland ist fast jeder zweite Elsässer Wein ein Crémant.
Bergrücken mit wechselvoller Geschichte
Einzigartig vielfältig gestaltet sich das Terroir auf dem östlichen Rücken der Vogesen. Der Flickenteppich von Böden in dem schmalen Streifen zwischen Straßburg und Mülhausen bietet Kalk und Schiefer, Mergel und Kiesel, Lehm und Sandstein, Granit und Vulkangestein und fast jede Mischform von allem. Vor allem Mergel, der in der Mehrzahl der 51 Grand Cru-Lagen eine Rolle spielt, kommt in sehr unterschiedlichen Zusammensetzungen vor.
Niederschlag fällt dagegen wenig. Die Wolken, die atlantischen Einfluss bringen könnten, regnen an der Westseite der Vogesen ab. Obwohl im Nordosten des Landes gelegen, ist das Elsass das trockenste und eins der sonnigsten Anbaugebiete Frankreichs mit einer Jahresmitteltemperatur um etwa 1,5 °C höher als auf der geografischen Breite zu erwarten wäre. Das Zusammenspiel mit den kalten Nächten im Spätsommer bietet ideale Voraussetzungen für eine lange Reifezeit.
Die Wettervorteile lassen auch andere Früchte in feinster Qualität reifen. Das Elsass ist berühmt für für seine Obstbrände, besonders den Himbeerbrand, auch wenn viele kleine Betriebe verschwunden sind. Der Großbetrieb Metté hat Dutzende verschiedene Brände im Programm.
Seit vielen Jahren hat das Elsass eine stabile Anbaufläche, auf der die Erträge nur jahrgangsbedingt schwanken. Der Klimawandel begünstigt die Region mit immer mehr Sonnenstunden. In denen stehen die Chancen für Pilze schlecht, was besonders Bio-Winzer ruhig schlafen lässt.
In dem günstigen, trockenen Klima arbeitet rund jeder siebte Winzer ohne konventionelle Spritzmittel, darunter viele Bio-Dynamiker. Bio ist hier seit Langem gesellschaftsfähig. Rémy Gresser, der Präsident des Winzerverbands, arbeitet biologisch und weiß sich dabei mit großen Namen wie Zind-Humbrecht, Deiss, Frick, Kreydenweiss und Weinbach in guter Gesellschaft.
Wenige Regionen haben so langjährige Erfahrung mit der Technik und dem Zusammenhang von Bodenbiologie und Weinqualität. Arbeitsweisen wie Weine ohne Schwefel praktizieren die Winzer schon lange. Ein Biodynamiker wie Stéphane Bannwarth baut seine Weine im Kvevri aus. Wie im benachbarten Baden ist der Umweltschutzgedanke hier tief verwurzelt. Ein Versuchsanbau mit genmanipulierten Rebstöcken erregte 2010 so viel Ärger, dass Aktivisten die Fläche verwüsteten.
Zufriedene Familienbetriebe, gute Genossenschaften, großzügige Grands Crus-Lagen
Vom nördlichen Ende bei Straßburg bis zur Südgrenze nahe Mülhausen misst die Region hundert Kilometer, die sich auf maximal drei Kilometern Breite zu 15.621 Hektar Anbaufläche aufaddieren. Nach offiziellen Angaben besitzen 1755 von insgesamt 3908 Winzern mehr als zwei Hektar und bearbeiten damit 91 Prozent der Gesamtfläche.
Im Elsass bleiben Weingüter mit guten Lagen oft über viele Generationen in Familienbesitz. Dopff-Au-Moulin wurde im Jahr 1574 gegründet und ist eins der ältesten Weingüter der Welt. Trotzdem haben Winzergenossenschaften einen Anteil von 43 Prozent am Absatz, arbeiten sehr verlässlich und bewirtschaften einige wertvolle Grands Crus. Während die Elsässer Weine mit ausschließlicher AOC-Produktion und der verbindlichen Schlegelflasche für die Stillweine nach außen sehr geschlossen wirken, ist die inhaltliche Auffächerung weit.
51 Grand Cru-Lagen sind das Herzstück der elsässischen Weinbaus. Spät, die meisten erst ab den achtziger Jahren geschaffen, sollten sie das Gebiet aufwerten. Die Produktionsregeln sind relativ konziliant, etwa mit Erntemengen von 50 Hektoliter pro Hektar, was zu ungleichen Qualitäten führt.
Neben den Grands Crus gibt es noch Vendanges Tardives (Spätlese) und Sélections de Grains Nobles (Beerenauslese), die mit sehr strengen Produktionsvorschriften die hochwertigsten Süßweinabfüllungen auszeichnen. Daneben wurden 2011 zwei weitere Kategorien eingeführt. „Lieux-dits" können auf dem Etikett einen Ort nennen, .„Communales“ eine geografische Angabe, bestenfalls eine alte bekannte Lage. Auch die Erträge sind enger begrenzt als beim AOC – mit einem doppelten Effekt.
Konkurrenz oder Konfusion?
Vorbild für die Regelungen ist wieder das Burgund. Mit seinen extrem kleinen, exklusiven und hierarchisierten AOCs arbeitet die Bourgogne Terroirs in einer Präzision heraus, die viele Regionen fasziniert. Doch dem Elsass fehlt etwas Stringenz. Besonders Grand Cru-Winzer argumentieren, dass durch die neuen Prädikate eine verwirrende Konkurrenz zu den Grands Crus entsteht.
Die vielen Bezeichnungen auf den Etiketten seien ohnehin für Verbraucher undurchschaubar, und man mache sie nicht besser, indem man noch mehr dazu setzt. Geschätzte 25 Prozent aller Grand Cru-Weine enden schon jetzt in AOCs, weil es schlicht keinen Markt dafür gibt. Der Ab-Hof-Preis so manchen Grands Crus liegt nicht weit über zehn Euro.
Andererseits belebt Konkurrenz das Geschäft. Jeder einzelne Winzer außerhalb der Grands Crus hat die Chance, sich durch individuelle Verbesserungen mehr Anerkennung zu erarbeiten. Aufstrebende Communales und Lieux-dits könnten mittelmäßige Grands Crus so unter Konkurrenzdruck setzen, nicht überholt zu werden. Was wirklich zutrifft, weiß niemand. „Statistisch werden diese Weine, die vier Prozent der Menge ausmachen, nicht erfasst“, räumt Gilles Neusch, Geschäftsführer des Elsässer Weinverbands, ein.
Die Kleinteiligkeit, die unglaubliche Vielfalt der Böden im Zusammenspiel mit den idealen Standortfaktoren, ist Fluch und Segen. Ein ambitionierter Winzer kann zahlreiche Lagen und Weintypen selbst aus einer kleinen Betriebsfläche herausarbeiten – was meist auch geschieht. Die sieben häufigsten Rebsorten füllen meist sogar Mini-Betriebe ab.
Ein paar Zahlenspiele lassen dann wieder zweifeln, wie die guten Weine ihre Käufer erreichen sollen. Multipliziert man nur die vier als Grand Cru zugelassenen Rebsorten mit den 25 Bodenvariationen, die die Grands Crus offiziell (und keineswegs en detail) beschreiben, ergeben sich 100 mögliche Weinstile. Winzer sprechen gern von 800 unterschiedlichen Terroirs. Multipliziert mit allen zugelassenen AOC-Rebsorten nähert man sich einer fünfstelligen Zahl. Multiplikatoren wie VT, SGN, Communales, Lieux-dits und diverse erlaubte Etikettenzusätze nicht mit eingerechnet.
Ein Meer, ein Strom und immer wieder Kriegsbeute
Die Böden des Elsass waren einmal der Grund eines urzeitlichen Meeres, auf dem sich Schicht um Schicht Sedimente auf dem Granit-Grundgestein ablagerte. Später verschob, hob und senkte sich das Areal durch tektonische Bewegungen und hinterließ den geologischen Flickenteppich, durch den später noch der Rhein schnitt.
Wie in der gesamten Großregion versuchten sich wohl schon die Kelten als Winzer, bevor es die römischen Besatzer besser machten. Weniger angenehm war der Einfall der völkerwandernden Germanen, die den Weinbau zu erliegen brachten und vielleicht ein böses Omen für die Zukunft setzten.
Durch den Aufstieg der burgundischen Klöster und die Ausbreitung des Christentums erholte sich der Weinbau. Lagen wie Mambourg waren schon im 8. Jahrhundert bekannt, viele andere folgten. Im 16. Jahrhundert gab es in Riquewihr schon einen Weinbauverband, der Erntezeitpunkte und Rebsorten festlegte. Wenn man so will ein Vorläufer des AOC.
Die elementarsten Erschütterungen musste das Elsass aber ab Mitte des 19. Jahrhunderts erleiden. Als im Erntejahr 1846/47 eine extreme Minderernte eingefahren wurde, gründete ein junger Kommunalbeamter im Westerwald einen Versorgungsfond, der die mittellose Landbevölkerung über den Winter brachte. Friedrich Wilhelm Heinrich Raiffeisen hatte die erste Genossenschaft ins Leben gerufen. Als das Elsass nach dem Krieg 1870/71 an das deutsche Reich fiel, verloren die Winzer damit über Nacht die französischen Absatzmärkte. Sie bedienten sich des Raiffeisen-Modells und gründeten früh Genossenschaften, die lange Zeit für Stabilität und Qualität sorgten.
Die Region wechselte jedoch immer wieder als Kriegsbeute zwischen den Erzfeinden Frankreich und Deutschland, nur niemals zu ihrem Vorteil. Es gibt Winzerfamilien, deren Mitglieder im selben Krieg zum Teil in der deutschen, zum Teil in der französischen Armee zum Kriegsdienst verpflichtet wurden. Zu seiner eigentlichen Qualität konnte das Elsass erst wieder nach dem II. Weltkrieg finden.
Das Wesentliche herausgearbeitet
In den letzten Jahrzehnten sind viele ältere Weintypen wie Klevener de Heiligenstein, Rouge d’Otrott, Vin de paille (Strohwein) und Vin de glace (Eiswein) in den Hintergrund getreten. Auch Sorten wie Chasselas, Knipperlé, Pinot auxerrois haben kaum mehr Bedeutung. Zurück gegangen sind auch die Flächen von Sylvaner und Riesling zugunsten aller drei Burgundersorten.
Heute konzentrieren sich die Winzer auf trockene Weine in der Region, in der bis vor einiger Zeit 10 Gramm Restzucker noch als trocken galten. Viele Winzer sichern sich mit einer Art Zucker-Ampel auf dem Rückenetikett ab.
Im Topsegment liegt die Zukunft in mineralischen, terroirbezogenen Weinen, nicht zu reif mit frischer Säure und trocken, so wie sie der Markt auch verlangt. Explosive Fruchtnoten und feuchter Stein in der Jugend und das enorme Alterungspotenzial mit komplexen Tertiärnoten von Orangenöl bis Jod. Den größten Qualitätssprung hat der Pinot Noir gemacht. Lange als leicht gekühlter Trinkwein eher verulkt, orientieren sich die Roten aus den besten Lagen einmal mehr an der Bourgogne. Das vergleichbare, immer wärmere Klima und die Böden versprechen noch weitere Erfolge.
Trotz aller Trümpfe, haben es die Elsässer im Absatz nicht ganz einfach. Seit längerer Zeit sind Hauptexportmärkte wie Belgien, Deutschland und die USA rückläufig. Und obwohl das Elsass bei heimischen Connaisseurs nach wie vor hoch geschätzt ist und seinen Platz in der Gastronomie hat, schrumpft der Absatzmarkt auch hier. „Kleine Ernten zwischen 2013 und 2015“, argumentiert Gilles Neusch hätten „zu einer Knappheit geführt“. Das Elsass hat allerdings seit dem Jahr 1990 ein Drittel seiner Menge verloren auch in Jahren mit überdurchschnittlichen Ernten.
Dabei entwicktelten sich die Preise gegenläufig. Von 70 Millionen Euro 1987 kletterten die Umsätze auf über 100 Millionen Euro 2017. Das ist auf den ersten Blick eine gute Nachricht für den Winzer. Auf lange Sicht hat der Verbraucher aber die Verteuerung erkannt. Die im Inland akzeptieren Preiserhöhungen in ertragsschwachen Jahren haben die Exportmärkte nicht akzeptiert. Außer in Belgien blieben die Flaschenpreise gleich. Das Gros musste also der heimische Markt auffangen.
Speziell in Deutschland hat das Elsass ein gewisses Imageproblem. Die kulturelle Nähe ist Fluch und Segen. Die Rebsorten sind zwar wohlbekannt, aber oft das einzige Kaufkriterium. Und Riesling ist in Rheinhessen aber nun mal billiger. Das Elsass gilt als teuer, ungeachtet der völlig unterschiedlichen Terroirs und Stile.
Die Anbaufläche bleibt derweil ziemlich konstant, was auch nicht weiter überrascht in einem begrenzten Gebiet mit stabilen Familienbetrieben. Dabei folgen die einzelnen Kategorien dem Gesamttrend. Wenn also mehr AOC produziert und verkauft wird, gibt es auch mehr Crémant und Grand Cru. Schaumwein alleine wird es also nicht regeln.
In der liebenswerten Bescheidenheit der Elsässer beklagen sich die Winzer selbst seltener und verweisen auf Direktverkäufe. Das Elsass mit seiner hervorragenden Gastronomie hat üppigen Weintourismus. Ab-Hof-Kunden aus Deutschland und insbesondere der Schweiz mit ihrer immensen Kaufkraft und kurzen Anfahrtwegen decken sich großzügig ein. Die Preise für Rebflächen stiegen 2017 um 7,2 Prozent, der höchste Wert in ganz Frankreich. Im Elsass werden wohl auch weiterhin viele Weingüter in der Familie bleiben.