Eine rote Sorte mit geringem Alkoholgehalt, angenehmer Säure, seidiger Frucht und vor allem hoch sensibel für Bodeneinflüsse, das ist so etwa das, was derzeit als Blaupause für eine global erfolgreiche Rotweinsorte im Premiumbereich gilt. Blaufränkisch hat das alles. Deshalb könnte man vermuten, dass er bei Winzern in aller Welt gerade schwer im Kommen ist. Das Gegenteil trifft eher zu. Vielleicht ist das auch besser so.
„Die Weine müssten wir eigentlich zwei, drei Jahre lagern. Aber da kommen wir gar nicht hin.“ Matthias Jalits’ Kommentar klingt leicht genervt, was bei dem Anlass überrascht. Zur Verkostung stehen gut dreißig Weine der österreichischen Herkunft Eisenberg. Nicht alle Weingüter sind international bekannt, aber die Proben durch die Bank sehr gut.
Im Glas schwenken wir den „Perwolff“. Der Wein aus dem Vorjahr ist Weltklasse, extrem dicht mit einem massiven Schieferton. Früchten wie Schwarzkirsche, Brombeere, Holunder und Schlehe kann man ewig hinterher schmecken, während im äußerst langen Abgang cremiges Nougat den Gaumen überzieht. Säure und Tannine sind wunderbar weich. Jeder Winzer, der so einen Wein produziert hat, kann sich entspannt zurück lehnen. Jalits’ Ärger: „Blaufränkisch steigert sich enorm durch die Lagerung. Damit könnten wir das Riesen-Potenzial der Sorte unter Beweis stellen.“ Aber die Weine werden nicht so alt, weil die wenigen Eisenberg-Winzer ständig ausverkauft sind.
Die Geschichte der kleinsten Region in Österreich ist eine der skurrilen in der Weinwelt. Schon der knapp 400 Meter hohe Hügel bietet eine komplizierte Gemengelage aus Ablagerungen. Ein 250 Millionen Jahre altes Meer, ein Grundgebirge des Erdmittelalters und Sedimente der Erdneuzeit, ein „geologisches Fenster“, versucht Dr. Maria Heinrich von der geologischen Bundesanstalt zu erklären.
Dazu kommt der Blaufränkisch, der auf der Ostseite des Bergs Kékfrankos heißt, denn die putzigen Dörfchen mit ihren schneeweißen Fassaden dort gehören zu Ungarn. Hochsensibel für Bodeneinflüsse, findet die Rebsorte hier ein geniales Terrain. Die Weine fallen schlank aus mit moderater Säure, weichen Tanninen und nicht zu alkoholisch. Eben so ziemlich genau dass, was zeitgemäße Weintrinker heutzutage wollen. Deshalb sind die Weine auch so schnell weg. „Bis vor ein paar Jahren hat das keinen interessiert“, sinniert Rainer Stubits, „jetzt ist es in Mode. Das ist unsere Chance.“ Die Winzer hoffen auf einen Durchbruch.
Eisenberg am Eisernen Vorhang
Der Eisenberg, den Geografen am „westlichsten Ausläufer des euroasiatischen Steppengürtels“ verorten, war lange Zeit keine eigene Appellation, sondern ein vergessener Flecken an der Grenze zum Warschauer Pakt. Von Aussichtsturm auf dem Berg Geschriebenstein kann man bis heute den Grenzverlauf sehen, Pionierpflanzen wie Birken heben sich mit ihren hellen Blättern als deutliche Linie vom restlichen Wald ab.
Kelten machten hier und wohl auch im heutigen Ungarn schon vor über 2000 Jahren Wein, also vor der römischen Besetzung, die den Weinbau nach Norden brachte. Seit dem Mittelalter trugen hochwertige Rebsorten oft den Beinamen „Fränkisch“ als Abgrenzung zu dem minderwertigen Heunisch. Ein neuerer DNA-Abgleich zeigte aber, dass Blaufränkisch als natürliche Kreuzung aus Blauer Zimmettraube und eben Weißem Heunisch schon vor 1750 in der südlichen Steiermark entstand. 125 Jahre später wurde er ins offizielle Rebsortenverzeichnis in Paris aufgenommen.
Ein Rebenleben im k.u.k.-Stil
Wie viele Sorten kennt man Blaufränkisch unter etlichen Synonymen, von denen die meisten eine wörtliche Übertragung in die jeweilige Landessprache sind. In groben Zügen folgt die Rebe der territorialen Ausbreitung des Habsburger Reichs. Das Fürstenhaus führte schon im Mittelalter mehrere Länder des späteren Österreichs zusammen und dehnte die Monarchie bis 1918 von Venetien bis weit auf den Balkan an die russische Grenze und von Krakau bis Sarajevo aus.
Heute nimmt die Sorte in der Slowakei mit gut 1700 Hektar neun Prozent der Anbaufläche ein und wird mit dem jährlichen Frankovka Modrá Festival gefeiert. In der Tschechischen Republik liefert Frankovka meistens schnell trinkbare Weine. In Kroatien belegt er mit 880 Hektar etwa 2,7 Prozent der Anbaufläche.
Gamé ist der bulgarische Name, Burgund Mare der rumänische. Beide verweisen auf die ewigen Verwechslungen mit Gamay und Pinot Noir. In keinem der beiden Länder hat die Sorte besondere Bedeutung. Meist leichte Weine kommen auch aus Slowenien und in kleinen Mengen aus dem Friaul, der Woiwodina und Serbien.
Eher unverbunden mit dem Ursprung sind die deutschen Anbaugebiete. Rund 1850 Hektar Lemberger, benannt nach dem steirischen Ort, wachsen vornehmlich in Württemberg. Empfindlich gegen Spätfröste, Echten und Falschen Mehltau ist der Anbau schwierig. Die Standortansprüche mit langen trockenen Sommern sind in Deutschland nicht an vielen Orten erfüllt. Ausnahmen wie Spitzenweine vom Roten Hang von St. Anthony im rheinhessischen Nierstein gibt es aber. Die Fläche nimmt leicht zu.
Weinselige Kelten und beschlagnahmte Traktoren
Ungarn hat vermutlich, abgesehen von Griechenland, die längste und prächtigste Weinbautradition Südosteuropas. Auch hier bauten Kelten vor 3000 Jahren Wein an. Im 16. Jahrhundert wurde Tokaj zur ersten geschützten Herkunft der Welt. Als 1836 der erste Sauternes ausgeschenkt wurde, genossen die ungarischen Botrytis-Weine längst Weltruf. Der Name Kékfrankos taucht schon früh in alten Dokumenten auf.
Mit rund 8000 Hektar belegt die Sorte hier die weltweit größte Anbaufläche. Das Land teilt sich die Breitengrade mit der Champagne und der Rhône. Zusammen mit den weiten Hügellandschaften aus Vulkan- und Kalkstein sind die Gegebenheiten bestens. Fast über alle Anbauregionen verteilt ist Kékfrankos ein verbreiteter Alltagswein mit großen Flächen in Kunság und Hajós–Baja und gleichzeitig die wohl bedeutendste autochthone rote Sorte und damit ein Versprechen für die Zukunft.
Mit den Jahren hat er sich einen Spitzenplatz im Egri Bikavér, dem Erlauer Stierblut erarbeitet und dessen fragwürdigen Ruf deutlich verbessert. Gute Qualitäten kommen aus dem namensgebenden Eger, dem ältesten Anbaugebiet Ungarns, und aus Szeksard, wo der Bikavér erstmals erwähnt wurde. „Den haben wir eigentlich nicht gebraucht“, erinnert sich Zoltan Heimann mit Blick auf das ramponierte Image des Markenweins. Der Winzer arbeitete in der Toskana, dem Piemont und in Bordeaux und vinifiziert aus der Sorte verspielte, komplexe Tropfen mit seidigen Tanninen. „Die reinsortigen Kékfrankos' sind der Schlüssel zu unserer Zukunft.“ Auch wenn der Stil noch lebhaft diskutiert wird.
Durch die politischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts vom I. Weltkrieg bis zum Ende der UdSSR ging eine Menge Weinwissen verloren. Noch 2009 musste ein DNA-Test klären, dass ungarischer Kékfrankos und österreichischer Blaufränkisch identisch sind.
Sopron bezeichnet sich als größtes zusammenhängendes Anbaugebiet der Sorte, wo ambitionierte Winzer die besseren Qualitäten heraus arbeiten. Die Region auf der Südseite des Neusiedler Sees entdeckten österreichische Winzer wie Fritz Weninger bald nach der Wende für sich. Erste Gehversuche, bei denen Traktoren an der Grenze von ungarischen Soldaten beschlagnahmt wurden, waren damals bittere Rückschläge und sind heute Anekdoten. Die Region steht für hochwertige, dichte, lagerfähige Weine. Villány, die sonnenverwöhnte Südspitze des Landes, bietet ideale Terroirs für Rotweine. In dem milden Klima, das die Winzer gern mit der Bourgogne vergleichen, entstehen auch einige der elegantesten Kékfrankos-Weine.
Für die Zukunft stehen die Dinge in Ungarn nicht schlecht. „Das Land durchläuft momentan einen enormen Wandel“, sagt Lotte Gabrovitz. Die Spezialistin für ungarischen Wein mit einem WSET-Diplom beobachtet die Entwicklung seit Langem. „Hochmotivierte Winzer mit internationaler Erfahrung produzieren Weine, die sich auf der globalen Weltkarte sehen lassen können. Hut ab vor der bestens ausgebildeten Winzergeneration, die diese einzigartigen Weine im Angesicht einer, dezent ausgedrückt, nicht so einfachen politischen Kulisse produzieren.“
Auf der anderen Seite des Neusiedler Sees zählen die etwa 3000 Hektar Blaufränkisch zum Tafelsilber. Schon in den siebziger Jahren erzeugte Matthias Bauer in Horitschon recht reintönige Weine, indem er die Hygienestandards des Molkereiwesens auf den Wein übertrug. Zu der Zeit ein enormer Fortschritt. Blaufränkisch avancierte zur nationalen Rebsorte, ist sogar im „Register der Traditionellen Lebensmittel“ eingetragen, wo ein Bundesministerium ihn als Kulturgut zwischen Beuschel und Sachertorte führt.
Nebenbei lieferte er das Genmaterial für eine ganze Reihe von Kreuzungen. Einige davon, wie Roesler und Rathay teilen das Schicksal so vieler Neuzüchtungen: sie haben es nie wirklich geschafft. Namen wie Acolon, Blauburger, Heroldrebe oder Cabernet Mitos spielen immerhin auf den unteren Tabellenrängen mit. Anders nur der Zweigelt. Die Kreuzung aus Blaufränkisch und St. Laurent ist heute die meist angebaute Sorte Österreichs und oft ein Musterbeispiel für ordentliche Alltagsweine.
Der Star aber ist der Blaufränkisch selbst. Die besten Erzeuger arbeiteten sich bald an längere Lagerzeiten und den richtigen Holzeinsatz heran. „Ende der neunziger Jahre haben viele Winzer verstanden, dass wir uns mit reinsortigem Blaufränkisch besser abheben als mit Cuvées und Cabernets“, erinnert sich Kurt Feiler, dessen Weine der Sorte vom Neusiedler See in Österreich zu den Kultweinen zählen.
Fast jeder fünfte Rote in Österreich ist ein Blaufränkisch und fast alle stehen sie nah an der Ostgrenze. Die Bestände in Carnumtum sind klein. Aber die Winzer pflanzen die Sorte wieder lieber, auch wenn der Anbau schwierig ist. Spitzerberg und Leithaberg mit ihrem Kalkauflagen, Neusiedler See und die Steiermark entwickeln sich sehr gut.
94 Prozent des Blaufränkisch werden aber im Burgenland angebaut, das sich selbst gern Blaufränkischland nennt und mit Mittelburgenland DAC die erste geschützte Herkunft für Rotweine in Österreich schuf. In den langen trockenen Sommern entstehen auf tiefen Lehmböden des von Hügeln gesäumten Lands üppige, lagerfähige Weine.
Die schwereren Versionen bieten sich für leichten Holzausbau als Burgenland DAC Reserve an, werden aber immer öfter von einem leichten und verspielt-komplexen Stil abgelöst. In der DAC Eisenberg wird ein größerer Holzeinfluss perse ausgeschlossen. Die würzig-körperreiche Art der Weine würde davon auch nur überdeckt.
Blaufränkisch hat also ein Riesenpotenzial, dazu einen sehr zeitgemäßen Stil und wird sogar mit dem Klimawandel vergleichsweise gut klar kommen. Einzelne Winzer im Friaul, in der Schweiz, in Andalusien, in Britsh Columbia, in New York, auf Long Island, in den Adelaide Hills, sogar in Japan und Peru probieren sich an der Sorte. Aber wo bleibt der weltweite Blaufränkisch-Hype? „Manchmal wird eine ganze Weinkategorie aus dem einen oder anderen Grund einfach ignoriert“, stellte Eric Asimov, der berühmte Kritiker der New York Times vor einiger Zeit ratlos fest. „Blaufränkisch ist das perfekte Beispiel dafür.“
Rund um den Eisenberg sind kleine Kellerstöckerln wie Legohäuschen an den Hängen verstreut. In denen wurden früher die Weine gemacht. Für große Keller reichen hier schlicht die Mengen nicht. Viele werden heute an Touristen vermietet, die sich über 2000 Sonnenstunden pro Jahr in der traumhaften Abgeschienenheit freuen. Trotz wachsender internationaler Aufmerksamkeit pendelt von den 46 Winzern des DAC so mancher noch jeden Morgen nach Wien, um seine Brötchen zu verdienen. Alles wirkt so genial normal. Vielleicht ist es ja die kleine, perfekte Herkunft, die die Rebsorte zu ihrer ganz großen Form auflaufen lässt mit dem Eisenberg als magnetischem Pol.