Anti-Terror-Einsatz gegen Frostschutz
Österreich geht’s gut, doch keine weiße Weste ohne Flecken. Nach einer kurzsichtigen Anbauflächenerweiterung litt das Land 1985 unter einer Überproduktion von fünf Millionen Hektoliter, meist dünner Weinchen. Im benachbarten Deutschland indes schätzten die Weintrinker süße Tropfen. Mit dem Zusatz des Frostschutzmittels Diethylglykol erzielten findige Winzer einen Süßeeffekt – und werteten die Weine gleich noch zur Spätlese auf.
Als die illegale Praxis aufflog, zog der Skandal schnell Kreise. Eine Antiterror-Einheit fand bei Razzien illegale Tanks und andere Betrügereien. Handschellen klickten, Millionen Liter Wein wurden beschlagnahmt. In Deutschland hatte der Großversender und Berliner Finanzsenator Elmar Pierroth diese Weine gesetzwidrig mit einheimischen Weinen verschnitten. Sogar auf Bundesgesundheitsminister Heiner Geißler fiel Verdacht.
Österreichischer wie auch deutscher Wein war von einem Tag auf den anderen im Ausland praktisch unverkäuflich. Viele Staaten erließen erbost Importstopps. In Japan wurde versehentlich sogar australischer Wein zurückgewiesen. In Österreich wanderten einige Haupttäter ins Gefängnis, das Land gab sich ein strenges Weingesetz und machte sich nach und nach einen Namen für hochwertige Weine. Im Nachbarland wurde eigentlich niemand zur Rechenschaft gezogen, und das Weingesetz fördert noch immer Massenware.
Herkunft statt Zuckergehalt, Denkmalschutz statt Spekulation
Heute gilt der Skandal in Österreich oft als Segen. Steigender Wohlstand, der weltweite Weintrend, effektives Marketing und gut gestreute EU-Mittel halfen aber ebenso, die Weinwirtschaft wieder auf die Beine zu stellen. In den neunziger Jahren orientierten sich die ersten Winzer wie Christian Neumeister aus Straden ganz nach oben: „Da schien alles möglich.“ Vieles war es auch. Die inländischen Kunden goutierten das mit tiefer Treue.
Österreich hat seine Weinbaupolitik mehrmals angepasst, etwa durch sinnvolle Umstellung oder Zusammenlegung von Flächen wirtschaftliche Betriebsgrößen geschaffen. Die Gesamtmenge ist heute niedriger und die Literpreise höher als 1985. Das Weingesetz richtete sich ursprünglich wie das deutsche nur am Zuckergehalt der Trauben aus, der allein nichts über den Wein aussagt. Nach französischem Vorbild zählen in Österreich Herkünfte und typische Stile, die sich vom generischen Landwein bis zur eng umrissenen, regionalen Herkunft ausdifferenzieren.
Die höchste Anerkennung ist der Districtus Austriae Controllatus (DAC), den es bis jetzt nur neun Mal gibt. Generelle Ertragsbeschränkungen (67,5hl/ha) schützen vor Billigheimern. Prüfnummer und Banderole lassen kontrollierte Produktion erkennen. Nach dem Glykol-GAU genießt integrierter Anbau Extra-Förderung. Für Sekt arbeitet man an einer Klassifikation, die sich wieder am Branchenprimus Champagner orientiert.
Ein gutes Beispiel für das Zusammenspiel von Marketing und sinnvollen Regeln findet sich in Wien, der einzigen Hauptstadt, die auch ein Anbaugebiet ist. 2005 hatten allzu simple Heurige den Ruf ziemlich ramponiert. Die Winzer setzten auf den Gemischten Satz, auch wenn es gegen jede Lehrmeinung ist, Weinstöcke unterschiedlicher Rebsorten und Reifezeitpunkte im selben Weingarten zu lesen. Heute glänzen die Wiener mit komplexen Cuvées. So sehr, dass Weingärten mitunter versteigert werden. Als gleichzeitig immer mehr Immobilienmakler scharf auf die prestigiösen Flächen an der Donau wurden, stellte man den Anbau kurzum unter Denkmalschutz.
Matthias Stelzig